Samstag, 15. Mai 2010

Multikulti in Israel









13.12.2009 Juedische Allgemeine:

SCHARIA Wie eine Deutsche in Israel durch das islamische Religionsgesetz ihre Kinder verlor

An der Hauptstraße steht ein hoher Pfosten mit Wegweisern. Die Farbe ist abgeblättert, die Schrift von der prallen Sonne
verblasst. Doch die Namen sind noch gutzu lesen: Nach Moskau geht’s rechts herum, geradeaus nach Kopenhagen und
links nach New York. Berit Kessler würde jede Route nehmen. Egal wohin, Hauptsache weg von hier. Ihre Realität aber ist Kiriat Gat, eine schmucklose Kleinstadt im südlichen Israel. Hier sitzt sie fest. Vor 13 Jahren verliebte sich die Deutsche
in einen Beduinen aus der Negevwüste, heiratete, bekam Kinder mit ihm. Was anmutet wie ein romantisches Abenteuer
mit einem Hauch Wagemut, endete nicht
nur im persönlichen Desaster für sie und
ihre Söhne, sondern auch vor dem Kadi.
Weil Berit zum Islam übergetreten ist, gilt
für sie die Scharia, das Religionsgesetz der
Muslime – mitten im jüdischen Staat. Auf israelischem Boden werden
keine Steinigungen durchgeführt,
auch wird niemand ausgepeitscht. Dennoch
gelten in bestimmten Bereichen ausschließlich
die Gesetze des Islam. Es gibt
keine Trennung von Staat und Religion, in
vielen Familienangelegenheiten, vor allem
bei Heirat und Scheidung, liegt die Zuständigkeit
allein bei den geistigen Oberhäuptern.
Das betrifft alle Bewohner Israels,
auch Muslime, Drusen und Christen. Jede
dieser Gruppen hat ihre Gerichtsbarkeit.
Für Juden gilt die Halacha, für Muslime die
Scharia, die in eigens dafür geschaffenen
Gerichten verhandelt wird. Sie ist in Israel
nicht nur offiziell anerkannt in allem, was
muslimische Familienbelange betrifft – die
Richter, genannt Kadis, werden zudem von
einem Knessetkomitee bestimmt und vom
Staat bezahlt.
Das System hat seinen Ursprung 1917
während der osmanischen Zeit und ist von
den Briten während des Mandats übernommen
worden. Allen anerkannten religiösen
Gruppen wurde damals erlaubt, bei
Angelegenheiten wie Heirat, Scheidung,
Erbe und Adoption vor ihre eigenen Gerichte
zu ziehen. Viele meinen, es sei liberal,
jeder religiösen Gruppe ihre Jurisdiktion
zuzusprechen, sagt Hamutal Gat, Anwältin
und Expertin für das Scharia-Recht,
»doch eigentlich ging es nur darum, dass
sich niemand mit den komplexen Details
der Religionen beschäftigen wollte. Also
wurde gesagt: Macht ihr das mal unter
euch aus.« Nach der Staatsgründung 1948
bestand das Recht weiter. Per Gesetz haben
die Scharia-Gerichte denselben Status wie
die rabbinischen. Für Christen existieren
private kirchliche Gerichte, deren Entscheidungen
de facto anerkannt werden.
ANGST Die 32-jährige Berit ist eine hübsche
Frau mit wachen Augen und einem
zarten Lächeln. Wenn sie es denn zeigt.
Geboren wurde sie in Jena, der Vater ist tot,
die Beziehung zur Mutter schwierig. ...
Mittlerweile sind die beiden größeren
Söhne acht und sechs Jahre alt – und nicht
mehr bei ihr. Ein Scharia-Gericht sprach
dem Vater das Sorgerecht zu, ohne dass sie
selbst als Mutter dazu gehört worden wäre,
erzählt Berit. Nur der Vierjährige lebt noch
bei ihr. Doch auch für ihn hat der Vater das
Sorgerecht. »Er könnte ihn jederzeit abholen
«, sagt die junge Mutter, »vielleicht hat
er kein Interesse an ihm, weil er kein Arabisch
spricht oder weil er noch recht jung
ist.« Die Angst, dass auch das kleinste Kind
auf einmal fort sein könnte, ist ständig da.
Dass es wieder so wird wie damals, im Mai
2008. Als sie ihre anderen Kinder verlor,
die der Vater auf dem Nachhauseweg vom
Spielplatz entführte.
Ihren Anfang nahm Berits Israel-Geschichte
1996 im Kibbuz Ein Gedi am Toten
Meer. Hier traf sie einen beduinischen
Mann, der in der Tourismusbranche arbeitete
und »sich überhaupt nicht von den
modernen Juden unterschied. Er war kosmopolitisch,
hatte in London gelebt und
machte sich über Polygamie in seiner Gesellschaft
lustig.« Die beiden verliebten
sich. Nach einem Jahr flog sie nach
Deutschland zurück, begann ein Studium
in Trier. Vier Jahre Fernbeziehung folgten,
bis Berit 2000 in Deutschland bemerkte,
dass sie schwanger war. »Zuerst wollte er
das Kind nicht, aber letztlich akzeptierte er
es.« Ein Jahr später reiste Berit mit ihrem
neugeborenen Sohn nach Israel. Um von
der Sippe akzeptiert zu werden, heiratete
die damals 24-Jährige den Beduinen in der
Wüste und trat vorher zum Islam über.
»Ich habe die Religion aber nie gelebt, was
mit meinem Ex so ausgemacht war«, sagt
sie, »es war rein der Form halber.«
Was so schön werden sollte, wurde zur
Hölle. Die Wohnung in der Wüstenstadt
Mizpe Ramon war mehr Loch denn Heim,
der Ehemann entweder abwesend oder gewalttätig.
Als Berit, mittlerweile zum zweiten
Mal schwanger, herausfand, dass er
noch mit einer anderen Frau verheiratet
war, verlangte sie die Scheidung. Dann
aber kippte die Stimmung im Hause gänzlich.
Nachdem der Sohn geboren war, wurden
die Übergriffe immer schlimmer.
Schließlich habe ihr Mann gedroht, sie
umzubringen. Berit flüchtete mit den Kindern
ins Frauenhaus. Daraufhin lenkte er
ein, wollte ihr die Wohnung überlassen
und die Kinder nur ab und zu sehen.
Nach sechs Wochen Frauenhaus sagte
sie zu. Doch kaum kehrte die junge Frau
zurück, war auch die Gewalt wieder da.
»Die ganze Sippe hat mich rund um die
Uhr überwacht, mein Ex-Mann schlug und
vergewaltigte mich mehrfach. So wurde
ich schwanger mit meinem dritten Sohn.«
Mehrfach zeigte Berit ihren Mann an.
Doch die Polizisten hätten nach Beweisen
gefragt, ob sie die Vergewaltigungen auf
Video aufgenommen habe.
Polygamie ist in Israel illegal, dennoch
ist sie bei den Beduinen in der Negevwüste
weit verbreitet. Offizielle Zahlen liegen
nicht vor, da viele Heiraten lediglich vor
zwei Zeugen im Zelt abgehalten werden
und nicht in den zivilen Registern vermerkt
sind. Experten gehen davon aus,
dass ein Viertel bis die Hälfte aller Männer
der 180.000 israelischen Beduinen mehrere
Frauen haben.
»Ein komplizierter Fall«, erklärt Berits
neue Rechtsanwältin Irit Gazith von der
Organisation WIZO, die sich unentgeltlich
um die rechtlichen Belange der Deutschen
kümmert. Zum einen wisse man nicht
genau, ob Berit überhaupt verheiratet sei,
weil sie im israelischen Innenministerium
nicht als solche registriert ist, zum anderen
seien Sprachprobleme oft ein Hindernis.
Berit spricht kein Arabisch, kaum Hebräisch,
und auch ihr Englisch reicht für die
oft schwierigen Verfahren nicht aus. Hinzu
komme, dass sich der Vater nicht an die
Gerichtsentscheide halte und die beiden
Kinder von ihrer Mutter mittlerweile völlig
entfremdet seien.
Der Kadi hat festgelegt, dass Berit ihre
Söhne zweimal wöchentlich in einem
Wohlfahrtszentrum zusammen mit Sozialarbeitern
sehen darf. In der Vergangenheit
verliefen diese Treffen allerdings katastrophal.
Die Jungs schlugen und bespuckten
ihre Mutter, wie Filmaufnahmen zeigen.
Mittlerweile bringt der Vater die Kinder
nicht mehr. Drei Monate hat Berit ihre Söhne
nicht gesehen. Wo sie leben, weiß sie
nicht. Vielleicht in einem Zelt der Sippe irgendwo
in der Wüste. Der zuständige Sozialarbeiter,
vom Kadi bestimmt, schweigt.
Gespräche mit der Presse lehnt er ab.
Wenn Berit über die Treffen mit ihren
Kindern erzählt, wird die Stimme kämpferisch:
»Mein Ex-Mann hetzt sie gegen mich
auf, erzählt ihnen, alle helläugigen Menschen
seien böse Geister. Er unterzieht sie
einer regelrechten Gehirnwäsche.« Sie ist
sicher, dass ihre Söhne unter Eltern-Kind-
Entfremdung leiden. Mittlerweile sind einige
Sozialarbeiter davon überzeugt, dass der
Vater die Kinder manipuliert.
Berit erhebt zudem Vorwürfe der körperlichen
und seelischen Misshandlung der
Kinder durch ihren Mann sowie dessen andere
Frau. Außerdem glaubt sie, dass ein
Onkel zumindest einen Jungen sexuell
missbraucht. Alles hat sie zur Anzeige bei
der Polizei gebracht – sämtliche Akten wurden
geschlossen, oder es wurden erst gar
keine eröffnet. Nicht ein einziges Mal sei
ihr geholfen worden. Die Anwältin: »Entweder
gab es Sprachprobleme oder Berits
Mann hat dort gehörigen Einfluss.«
Berit selbst ist von Letzterem überzeugt.
»Die Angst vor den Beduinen ist groß«,
sagt sie. Auch an die Erfahrungen vor dem
Kadi erinnert sie sich mit Schrecken: »Ich
wurde vor Gericht nur runtergemacht. Als
Frau hatte ich keine Chance, noch dazu als
Ausländerin. Zudem bin ich meist gar
nicht informiert worden, wenn verhandelt
wurde, sogar von meinem Scheidungstermin
habe ich nichts erfahren. Obwohl sich
mein Ex an keine Abmachung hält und keinen
Unterhalt zahlt, wird alles gegen mich
ausgelegt.« Mithilfe der deutschen Botschaft
in Tel Aviv bekommt sie Sozialhilfe
aus Deutschland. Um sich etwas hinzuzuverdienen,
näht sie Babytragen, die sie in
Israel und im Internet verkauft. Dennoch
reicht das Geld kaum zum Leben.
RECHTSPRECHUNG Gibt es überhaupt
Hoffnung, dass Berit ihre beiden Kinder je
wiederbekommt? »Ja, die habe ich, sonst
hätte ich mich der Sache nicht angenommen
«, sagt Gazith. »Wir versuchen jetzt
alles, um den Fall vom Scharia-Gericht vor
ein ziviles Gericht zu verlegen.« Das aber
ist schwierig, sagt Expertin Gat: »Im israelischen
Recht gilt, dass vor dem Gericht
verhandelt wird, an dem eine der beiden
Parteien zuerst einen Antrag stellt.« Da
Berits Mann vor das Scharia-Gericht zog,
als sie im Frauenhaus war und dort keinen
Anwalt kontaktieren konnte, ist der Kadi
zuständig. »Diese Art von Rechtswesen
birgt enorme Probleme«, sagt Gat. »In den
meisten westlichen Staaten gibt es eine
zivile Rechtsprechung, in vielen muslimischen
Ländern eine rein religiöse. Ob es einem gefällt oder nicht: Man weiß, woran man ist. Hier in Israel aber existieren zwei Systeme nebeneinander, die sich mit demselben Problem beschäftigen können.«
...
Die Scharia-Richter werden vom israelischen Staat bezahlt.

von Sabine Brandes (http://kindesmissbrauch-il.blogspot.com/)