Es ist schön, wenn die NZZ (21.8.19) mit der Erinnerung an Plessner sich selbst daran erinnert, daß sie einmal eine liberalkonservative Zeitung war. Heute rennt sie dem Klimaklamauk hinterher und räumt seriösen Klimatologen wie Richard Lindzen, Roy Spencer, John Christy und Judith Curry keinen Platz ein, obwohl der Grundstein des Liberalismus zweifelsfrei die Darlegung der Sicht der anderen Seite gebietet, ganz nach Kants Einsicht, daß es möglich sei, daß ein Publikum sich gegenseitig aufkläre. Christian Marty sei nebenbei daran erinnert, daß der liberale Denker Kant ein Deutscher war. Wie auch der liberale Schopenhauer, der mit seiner Parabel von den Stachelschweinen die Vorlage für Plessners “Grenzen der Gemeinschaft” geliefert hat. Aktueller Anlaß war allerdings damals die Jugendbewegung, die die Gemeinschaft anhimmelte, wie eben Jugend nur unklug sein kann. Thomas Mann hat dieses Jugendirresein im “Doktor Faustus” im Kapitel “Studentengespräche” eingehend porträtiert. Plessners Plädoyer für Takt und Halbdistanz besitzt seine Logik, es ist aber ein Erbteil der höfischen Gesellschaft, das das Bürgertum übernommen hat. Jedenfalls hat es der bürgerliche Gentleman übernommen, der auch über Impulskontrolle verfügte. Darum steht es aber in unseren Gesellschaften nicht sehr gut, wird doch in den Medien Spontaneität, Authentizität und Emotion propagiert. Plessners Schrift von 1924 ist lesenswert, besitzt aber leider keine große Anschlußfähigkeit an die Realitäten der Gegenwart. Der Leser wird jedoch belohnt mit schönen Funden:
“Unsere moralische Haltung leidet an einer Überbetonung der Gesinnung, des Gewissens und der innerlich erfaßbaren Werte. Man kann nicht nur das Leben nicht dauernd gewissenhaft, gesinnungshaft leben, man soll es auch nicht.”