SCHILLER, DON CARLOS, Vorletzte Szene
Das Drama ist im Detail nicht historisch.
Der spanische König Philipp II., Sohn Karls V., trifft sich mit dem alten Kardinal und Großinquisitor, um dessen Propagandahilfe für den geplanten Mord an seinem Sohn, dem Thronfolger Don Carlos, zu erwirken. Der ist einverstanden, geht es doch um die Macht von Thron und Kirche, für die Karl V. in den Augen des Großinquisitors stand. Lieber Tod als Freiheit, ist sein letztes Wort; der Thronfolger will nämlich der spanischen Herrschaft in den protestantischen Niederlanden ein Ende bereiten. Das wollen beide, Philipp und Großinquisitor, verhindern.
Großinquisitor. Wenn Philipp sich in Demuth beugt.
König (nach einer Pause). Mein Sohn
Sinnt auf Empörung.
Großinquisitor. Was beschließen Sie?
König. Nichts – oder Alles.
Großinquisitor. Und was heißt hier Alles?
König. Ich lass' ihn fliehen, wenn ich ihn
Nicht sterben lassen kann.
Großinquisitor. Nun, Sire?
König. Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,
Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt?
Großinquisitor. Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,
Starb an dem Holze Gottes Sohn.
König. Du willst
Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?
Großinquisitor. So weit, als man das Kreuz verehrt.
König. Ich frevle
An der Natur – auch diese mächt'ge Stimme
Willst du zum Schweigen bringen?
Großinquisitor. Vor dem Glauben
Gilt keine Stimme der Natur.
König. Ich lege
Mein Richteramt in deine Hände. – Kann
Ich ganz zurücke treten?
Großinquisitor. Geben Sie
Ihn mir.
König. Es ist mein einz'ger Sohn – Wem hab' ich
Gesammelt?
Großinquisitor. Der Verwesung lieber, als
Der Freiheit.
König (steht auf). Wir sind einig. Kommt.
Großinquisitor. Wohin?
König. Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.
“Nach Ansicht des britischen Historikers Hugh Trevor-Roper hat diese antiprotestantische, gegenreformatorische Reaktion mehr als der Protestantismus selbst das Schicksal des südlichen Europas für die folgenden dreihundert Jahre besiegelt.”
(David Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, S. 199)