Dienstag, 25. Mai 2021

Robert Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”

 Die Friedenbewegung war noch nicht erfunden

Während der Mittelalter-Kollege Michael Mitterauer sozusagen die nahrhafte Perspektive einnimmt und die Agrarrevolution und ihre Auswirkungen in den Mittelpunkt stellt, lenkt Bartlett den Blick auf die Gewalt als zentrale Kategorie: 

“Überall beherrschte eine kleine adlige Elite die Landbevölkerung und lebte von der Arbeit der Bauern. Ein Teil des Adels bestand aus Laien; ihr Metier war das Kriegshandwerk, sie waren stolz auf ihre Familien und auf den Fortbestand ihrer Linien bedacht. Die anderen wurden für eine kirchliche Laufbahn bestimmt, als Mönche oder Weltgeistliche.” (S. 11) 

Diese fränkische Elite mit ihren Berufssoldaten beendete nicht nur die Angriffe aus dem Osten und dem Süden, die das fragile Westeuropa stets bedroht hatten - die arabischen Eroberer kamen bis Poitiers, wo sie erst von Karl Martell besiegt wurden (732) - es gelang ihnen tatsächlich im Laufe der Jahrhunderte die Rückeroberung der arabischen Besetzungen. Mehr noch, sie expandierten über das fränkische Kerngebiet hinaus und initiierten internationale Militärorden wie die Templer, Schwertbrüder, Johanniter etc., die Gewalt für die Mission zwischen Lübeck und Jerusalem einsetzten. Sie waren direkt dem Papst unterstellt, der allein Kreuzzüge legitimieren konnte. Dergestalt konsolidierten sich die europäischen Grenzen als Grenzen des lateinischen Europas, das nachhaltig Bestand hatte. Das griechische Europa in Gestalt des byzantinischen Reiches unterlag 1453 der türkischen Eroberung und heißt heute Istanbul. Insofern beweist sich die von Bartlett gewählte Zentralperspektive der Gewalt bei der Europäisierung Europas als relevant.