Samstag, 15. August 2015

Sarrazin? Da war doch was!













Da war das Buch "DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen - "
Ein sehr scharfsichtiges Buch mit viel Material und vielen Analysen, das seit seinem Erscheinen 2010 immer zutreffender und wichtiger geworden ist. Hier als Erinnerung und Impuls einige Zeilen aus dem Schlußkapitel 9:
                  "Ein Traum und ein Alptraum
Deutschland in 100 Jahren

Die vergangenen acht Kapitel enthielten viele Zahlen und Analysen, Wertungen gab es auch. An dieser Stelle mache ich zwei Setzungen:
1.   Jeder Staat hat das Recht, darüber zu entscheiden, wer in das Staatsgebiet zuziehen darf und wer nicht.
2.   Die westlichen und europäischen Werte und die jeweilige kulturelle Eigenart der Völker sind es wert, bewahrt zu werden. Dänen sollen auch in 100 Jahren als Dänen unter Dänen, Deutsche als Deutsche unter Deutschen leben können, wenn sie dies wollen.
Die in diesen beiden Setzungen zum Ausdruck kommende Werthaltung einer bürgerlichen Mitte wird in Deutschland seit Jahrzehnten bekämpft – teils offen, teils verdeckt. Wer so denkt, soll in die rechte Ecke abgedrängt werden. Eine in Deutschland verbreitete angebliche Liberalität mit häufig unbewusster Sozialisation in der Tradition der Achtundsechziger findet jede Art von Bevölkerungspolitik anrüchig und jedweden Zuzug erst einmal gut. Zuzugssteuerung oder -beschränkung hält man in diesen Kreisen eigentlich für illegitim beziehungsweise für unmoralisch, und zudem gilt es als Ausdruck dumpfer Nationalgefühle, den deutschen Charakter Deutschlands bewahren zu wollen.  
Ich möchte aber, dass meine Nachfahren in 50 und auch in 100 Jahren noch in einem Deutschland leben, in dem die Verkehrssprache Deutsch ist und die Menschen sich als Deutsche fühlen, in einem Land, das seine kulturelle und geistige Leistungsfähigkeit bewahrt und weiterentwickelt hat, in einem Land, das eingebettet ist in einem Europa der Vaterländer. Ich finde das – mit Verlaub – wichtiger als die Frage, ob der Wasserspiegel der Nordsee in den nächsten 100 Jahren um 10 oder um 20 Zentimeter steigt. Ich bin sicher, das auch unsere östlichen Nachbarn in Polen in 50 oder 100 Jahren noch Polen sein wollen, genau wie die Franzosen, die Dänen, die Holländer und die Tschechen Entsprechendes für ihre Völker und ihre Länder wollen.  (...)
Ein Alptraum …
In Deutschland des Jahres 2017 war Politik eigentlich ganz zufrieden mit sich selbst. Die Folgen der Weltrezession, die 2008 mit der Lehman-Pleite begonnen hatte, waren überwunden. Das Produktionsniveaus des Jahres 2008 war 2013 wieder erreicht worden, die Wirtschaft wuchs zwar nur langsam, aber sie wuchs immerhin.
Seit Herbst 2017 führte Angela Merkel eine schwarz-grüne Bundesregierung. Das Kapitel zu Migration und Integration in der Koalitionsvereinbarung war besonders lang. Es wurde bekräftigt, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sei: die wachsende Einfluss fremder Kulturen sei für das Land eine Bereicherung. Allen Migranten wurde das kommunale Wahlrecht mit der Aufenthaltsgenehmigung zugesprochen. Die Koalitionsvereinbarung kündigte eine Gesetzesinitiative an, mit der die Unterstützung von Xenophobie und Islamophobie unter Strafe gestellt werden sollte. Jürgen Trittin hatte im Wahlkampf für Wirbel gesorgt mit einer Aussage: »50 Prozent Araber sind mir lieber als fünf Prozent Rechtsradikale.« Familiennachzug sollte erleichtert werden. (...)
… und eine Alternative
Seit dem Jahre 2010 beunruhigten die wachsenden Erfolge rechtspopulistischer Parteien die etablierten Parteien und Regierungen in ganz Europa.
Der Wiederaufschwung nach der Rezession 2008/09 war schwächlich geblieben und hatte sich über viele Jahre mühsam dahingeschleppt. Die Völker hatten Angst um ihren Lebensstandard. Es offenbarte sich zusehends, dass die Außengrenzen des Schengen-Raumes löcherig waren: Die Migration in die europäischen Sozialsysteme aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika nach Europa nahm stetig zu.
Im Mai 2013, wenige Monate vor der Bundestagswahl, gelang einem unentdeckt gebliebenen Zweig der Sauerlandgruppe ein Sprengstoffattentat am Bahnhof Zoo in Berlin, das 73 Opfer forderte. Nach ähnlichen Anschlägen kurze Zeit später in Paris und Rom trat der Europäische Rat zu einer Sondersitzung zusammen und beschloss neben vielen anderen Maßnahmen grundlegende Änderungen bei der Überwachung der Außengranzen des Schengen-Raums sowie eine Europäische Richtlinie zum einheitlichen Umgang mit illegal Einreisenden. Alle Mitglieder verpflichteten sich, die neuen Bestimmungen innerhalb eines Jahres in Kraft zu setzten. Diese Maßnahmen, die mehrfach verschärft wurden, führten allmählich zu einem Rückgang der illegalen Zuwanderung auf unter 100 000 jährlich für die gesamte Union.
Die im September 2013 neu gewählte Bundesregierung setzte in ihrer Koalitionsvereinbarung neue Akzente zur Weiterentwicklung in der Familien-, Integrations- und Bildungspolitik:       
  • Eine Kombination familienpolitischer Maßnahmen, bei denen immer wieder nachgesteuert wurde, führte dazu, dass im Lauf von zehn Jahren die Zahl der Geburten pro Frau wieder auf 2,1 stieg, ein Niveau, das zuletzt Mitte der 1960er Jahre erreicht worden war. Besonders erfreut zeigte man sich, dass der Anteil der Geburten von Frauen mit mittlerem und hohem Bildungsstand deutlich  stieg. Die auf diese Gruppe zielenden Maßnahmen waren besonders umstritten gewesen und wurden immer wieder als sozial ungerecht kritisiert.
  • Die Regeln für den Familiennachzug wurden verschärft. Als besonders wirksam erwiesen sich die strengeren Anforderung in Bezug auf die Deutschkenntnisse und die Bestimmung, dass nachgereiste Familienangehörige zehn Jahre lang keinen Anspruch auf deutsche Sozialleistungen hatten. Zudem mussten die aufnehmenden Familien so ausreichende Einkünfte aus Arbeit und Vermögen vorweisen, dass der Lebensunterhalt der Eingereisten gesichert war. Der Familiennachzug ging daraufhin stark zurück.   
  • Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten wurden flächendeckend eingeführt. Damit verbunden war die Ausgabe eines unentgeltlichen Mittagessens an jedes Kind. Für den Bezug von Kinderzuschlägen in der Grundsicherung und von Kindergeld war Voraussetzung, dass die Kinder diese Einrichtungen tatsächlich besuchten. Jedes unentschuldigte Fehlen, auch wenn es sich nur um wenig Stunden oder einen Tag handelte, führte zu scharfen Abzügen.
  • Für Migrantenkinder stand in Kita und Schule der Erwerb der deutschen Sprache im Mittelpunkt. Diese wurde verbindliche Verkehrssprache in allen staatlichen oder staatlich geförderten Bildungseinrichtungen. In allen Einrichtungen wurden alljährlich für jede Altersstufe bundeseinheitliche Sprachstandstests durchgeführt. Das Ranking floss ein in die Bemessung der staatlichen Mittelzuweisung. Einrichtungen, die die Anforderungen mehrfach nicht erfüllten, wurden aufgelöst oder verloren den Anspruch auf staatliche Förderung.
  • An den Grundschulen wurden die jahrgangsbezogenen Curricula für Deutsch und Mathematik bundesweit vereinheitlicht und dem Niveau des Jahres 1970 angepasst. Dies führte zu einem Aufschrei der Lehrerverbände vor allem in Berlin, Hamburg und Bremen. Auch die Erfüllung dieser Standards wurde jedes Jahr in einem bundesweiten Test überprüft und die daraufhin erstellte bundesweite Rankingtabelle veröffentlicht. Alle Kinder, die die Standards nicht erfüllten, erhielten eine verbindliche Sonderförderung.
Die Erfolge aller dieser Massnahmen zeigten sich nach einem Jahrzehnt. Die Zahl der Schüler in Deutschland wuchs, und offenbar wurden sie auch wieder klüger. Beim Pisa-Test war Deutschland gegenüber dem OECD-Durchschnitt jahrelang deutlich zurückgefallen. Dies änderte sich stufenweise von 2025 an.  Deutschland holte wieder auf. (...)"
(Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, S. 391ff. )