Da war das Buch "DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB – Wie wir unser
Land aufs Spiel setzen - "
Ein sehr scharfsichtiges Buch mit viel Material und vielen
Analysen, das seit seinem Erscheinen 2010 immer zutreffender und wichtiger
geworden ist. Hier als Erinnerung und Impuls einige Zeilen aus dem
Schlußkapitel 9:
"Ein
Traum und ein Alptraum
Deutschland in 100 Jahren
Deutschland in 100 Jahren
Die vergangenen acht Kapitel enthielten viele Zahlen und Analysen, Wertungen gab es auch. An dieser Stelle mache ich zwei Setzungen:
1. Jeder Staat hat das Recht, darüber zu
entscheiden, wer in das Staatsgebiet zuziehen darf und wer nicht.
2. Die westlichen und europäischen Werte und die
jeweilige kulturelle Eigenart der Völker sind es wert, bewahrt zu werden. Dänen
sollen auch in 100 Jahren als Dänen unter Dänen, Deutsche als Deutsche unter
Deutschen leben können, wenn sie dies wollen.
Die in diesen beiden Setzungen zum Ausdruck kommende
Werthaltung einer bürgerlichen Mitte wird in Deutschland seit Jahrzehnten
bekämpft – teils offen, teils verdeckt. Wer so denkt, soll in die rechte Ecke
abgedrängt werden. Eine in Deutschland verbreitete angebliche Liberalität mit
häufig unbewusster Sozialisation in der Tradition der Achtundsechziger findet
jede Art von Bevölkerungspolitik anrüchig und jedweden Zuzug erst einmal gut.
Zuzugssteuerung oder -beschränkung hält man in diesen Kreisen eigentlich für
illegitim beziehungsweise für unmoralisch, und zudem gilt es als Ausdruck
dumpfer Nationalgefühle, den deutschen Charakter Deutschlands bewahren zu
wollen.
Ich möchte aber, dass meine Nachfahren in 50 und auch in 100
Jahren noch in einem Deutschland leben, in dem die Verkehrssprache Deutsch ist
und die Menschen sich als Deutsche fühlen, in einem Land, das seine kulturelle
und geistige Leistungsfähigkeit bewahrt und weiterentwickelt hat, in einem
Land, das eingebettet ist in einem Europa der Vaterländer. Ich finde das – mit
Verlaub – wichtiger als die Frage, ob der Wasserspiegel der Nordsee in den
nächsten 100 Jahren um 10 oder um 20 Zentimeter steigt. Ich bin sicher, das
auch unsere östlichen Nachbarn in Polen in 50 oder 100 Jahren noch Polen sein
wollen, genau wie die Franzosen, die Dänen, die Holländer und die Tschechen
Entsprechendes für ihre Völker und ihre Länder wollen. (...)
Ein Alptraum …
In Deutschland des Jahres 2017 war Politik eigentlich ganz
zufrieden mit sich selbst. Die Folgen der Weltrezession, die 2008 mit der
Lehman-Pleite begonnen hatte, waren überwunden. Das Produktionsniveaus des
Jahres 2008 war 2013 wieder erreicht worden, die Wirtschaft wuchs zwar nur
langsam, aber sie wuchs immerhin.
Seit Herbst 2017 führte Angela Merkel eine schwarz-grüne
Bundesregierung. Das Kapitel zu Migration und Integration in der
Koalitionsvereinbarung war besonders lang. Es wurde bekräftigt, dass die Bundesrepublik
ein Einwanderungsland sei: die wachsende Einfluss fremder Kulturen sei für das
Land eine Bereicherung. Allen Migranten wurde das kommunale Wahlrecht mit der
Aufenthaltsgenehmigung zugesprochen. Die Koalitionsvereinbarung kündigte eine
Gesetzesinitiative an, mit der die Unterstützung von Xenophobie und
Islamophobie unter Strafe gestellt werden sollte. Jürgen Trittin hatte im
Wahlkampf für Wirbel gesorgt mit einer Aussage: »50 Prozent Araber sind mir
lieber als fünf Prozent Rechtsradikale.« Familiennachzug sollte erleichtert
werden. (...)
… und eine Alternative
Seit dem Jahre 2010 beunruhigten die wachsenden Erfolge
rechtspopulistischer Parteien die etablierten Parteien und Regierungen in ganz
Europa.
Der Wiederaufschwung nach der Rezession 2008/09 war
schwächlich geblieben und hatte sich über viele Jahre mühsam dahingeschleppt.
Die Völker hatten Angst um ihren Lebensstandard. Es offenbarte sich zusehends,
dass die Außengrenzen des Schengen-Raumes löcherig waren: Die Migration in die
europäischen Sozialsysteme aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika
nach Europa nahm stetig zu.
Im Mai 2013, wenige Monate vor der Bundestagswahl, gelang
einem unentdeckt gebliebenen Zweig der Sauerlandgruppe ein Sprengstoffattentat
am Bahnhof Zoo in Berlin, das 73 Opfer forderte. Nach ähnlichen Anschlägen
kurze Zeit später in Paris und Rom trat der Europäische Rat zu einer
Sondersitzung zusammen und beschloss neben vielen anderen Maßnahmen
grundlegende Änderungen bei der Überwachung der Außengranzen des Schengen-Raums
sowie eine Europäische Richtlinie zum einheitlichen Umgang mit illegal
Einreisenden. Alle Mitglieder verpflichteten sich, die neuen Bestimmungen
innerhalb eines Jahres in Kraft zu setzten. Diese Maßnahmen, die mehrfach
verschärft wurden, führten allmählich zu einem Rückgang der illegalen
Zuwanderung auf unter 100 000 jährlich für die gesamte Union.
Die im September 2013 neu gewählte Bundesregierung setzte in
ihrer Koalitionsvereinbarung neue Akzente zur Weiterentwicklung in der
Familien-, Integrations- und Bildungspolitik:
- Eine Kombination familienpolitischer Maßnahmen, bei denen immer
wieder nachgesteuert wurde, führte dazu, dass im Lauf von zehn Jahren die
Zahl der Geburten pro Frau wieder auf 2,1 stieg, ein Niveau, das zuletzt
Mitte der 1960er Jahre erreicht worden war. Besonders erfreut zeigte man
sich, dass der Anteil der Geburten von Frauen mit mittlerem und hohem
Bildungsstand deutlich stieg. Die auf diese Gruppe zielenden
Maßnahmen waren besonders umstritten gewesen und wurden immer wieder als
sozial ungerecht kritisiert.
- Die Regeln für den Familiennachzug wurden verschärft. Als besonders
wirksam erwiesen sich die strengeren Anforderung in Bezug auf die
Deutschkenntnisse und die Bestimmung, dass nachgereiste Familienangehörige
zehn Jahre lang keinen Anspruch auf deutsche Sozialleistungen hatten.
Zudem mussten die aufnehmenden Familien so ausreichende Einkünfte aus
Arbeit und Vermögen vorweisen, dass der Lebensunterhalt der Eingereisten
gesichert war. Der Familiennachzug ging daraufhin stark zurück.
- Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten wurden flächendeckend
eingeführt. Damit verbunden war die Ausgabe eines unentgeltlichen
Mittagessens an jedes Kind. Für den Bezug von Kinderzuschlägen in der
Grundsicherung und von Kindergeld war Voraussetzung, dass die Kinder diese
Einrichtungen tatsächlich besuchten. Jedes unentschuldigte Fehlen, auch
wenn es sich nur um wenig Stunden oder einen Tag handelte, führte zu
scharfen Abzügen.
- Für Migrantenkinder stand in Kita und Schule der Erwerb der deutschen
Sprache im Mittelpunkt. Diese wurde verbindliche Verkehrssprache in allen
staatlichen oder staatlich geförderten Bildungseinrichtungen. In allen
Einrichtungen wurden alljährlich für jede Altersstufe bundeseinheitliche
Sprachstandstests durchgeführt. Das Ranking floss ein in die Bemessung der
staatlichen Mittelzuweisung. Einrichtungen, die die Anforderungen mehrfach
nicht erfüllten, wurden aufgelöst oder verloren den Anspruch auf
staatliche Förderung.
- An den Grundschulen wurden die jahrgangsbezogenen
Curricula für Deutsch und Mathematik bundesweit vereinheitlicht und dem
Niveau des Jahres 1970 angepasst. Dies führte zu einem Aufschrei der
Lehrerverbände vor allem in Berlin, Hamburg und Bremen. Auch die Erfüllung
dieser Standards wurde jedes Jahr in einem bundesweiten Test überprüft und
die daraufhin erstellte bundesweite Rankingtabelle veröffentlicht. Alle
Kinder, die die Standards nicht erfüllten, erhielten eine verbindliche
Sonderförderung.
Die Erfolge aller dieser Massnahmen zeigten sich nach einem
Jahrzehnt. Die Zahl der Schüler in Deutschland wuchs, und offenbar wurden sie
auch wieder klüger. Beim Pisa-Test war Deutschland gegenüber dem
OECD-Durchschnitt jahrelang deutlich zurückgefallen. Dies änderte sich
stufenweise von 2025 an. Deutschland holte wieder auf. (...)"
(Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, S. 391ff. )