Mittwoch, 19. Oktober 2011

Schlug die Laute, wenn es brenzlig wurde




Frontispiz der Erstausgabe 1668

Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Das erste Kapitel

Simplex erzählet sein bäurisch Herkommen,

Was er vor Sitten hab an sich genommen.

Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubet, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wann sie daran krank liegen und so viel zusammengeraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können oder sonst etwan durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adlige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet und auf fleißiges Nachforschen nichts anders herauskommt, als daß ihre Voreltern Schornsteinfeger, Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger, ihre Vettern Eseltreiber, Taschenspieler, Gaukler und Seiltänzer, ihre Brüder Büttel und Schergen, ihre Schwestern Nähterin, Wäscherin, Besenbinderinnen oder wohl gar Huren, ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen, und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neue Nobilisten, seind oft selbest so schwarz, als wann sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.

(Karchelzieher - Karrenzieher, Anichen - Ahnen, Zuckerbastels Zunft zu Prag - Name einer Diebesbande in Nikolaus Ulenharts deutscher Bearbeitung von Cervantes’ Schelmennovelle “Eckstein und Schnittel” / “Rinconete y Cortadillo”)

(1668 erschienen in Nürnberg, ausgewiesen 1669, Raubdruck in Frankfurt etwa 1670 in mehr hochsprachlicher Fassung, etwa unter Weglassung des alemannischen "e", e.g. BUBE geschrieben, aber nicht gesprochen, Apokope; Text bei Zeno.org) Reinhard Kaiser übertrug in Eichborns "Anderer Bibliothek" neu in "zeitgemäßes Deutsch" .


“... wie in einem epischen Gedichte geht das ganze äußere Leben und Weben der Zeit in diesem Buche vor uns auf, das aus einer reichen Anschauung entworfen ist, das in seiner gedrängten Fülle, in der man kein Wort überlesen darf, einen großen Gegensatz gegen die breiten und leeren Romane der Zeit bildet und auch im Stile sich nicht an diese, sondern an den Volkston hält.” Georg G. Gervinus

Ob es ein Unglück gewesen sei, zur Zeit des 30jährigen Krieges in Deutschland geboren zu sein, sei strittig, jedenfalls sei es nach 1648 kein Unglück mehr gewesen, ein Deutscher zu sein. So Golo Mann in seiner “Geschichte der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert”.

Ich las den “Simplicissimus” in einem Schultextauszug auf der Realschule, ich entsinne mich nicht, später an der Uni noch einmal dem “Simplicissimus” begegnet zu sein.