Dienstag, 2. November 2010
Luhmann versteht Bahnhof
- Luhmann in Stuttgart:
"Das wird deutlich, wenn man Protestbewegungen als autopoietische Systeme (selbsterzeugte, WD) eigener Art versteht und den Protest als ihr katalysierendes (vorwärtstreibendes, WD) Element. Der ein Thema herausgreifende Protest ist ihre Erfindung, ihre Konstruktion. ... Gegen Komplexität kann man nicht protestieren. Um protestieren zu können, muß man deshalb die Verhältnisse plattschlagen. Dazu dienen die Schemata und vor allem die Skripts, die sich in der öffentlichen Meinung mit Hilfe der Massenmedien durchsetzen lassen. ... Der Protest inszeniert "Pseudo-Ereignisse", das heißt: Ereignisse, die von vornherein für Berichterstattung produziert sind und gar nicht stattfinden würden, wenn es die Massenmedien nicht gäbe. ... Schon in der Planung ihrer eigenen Aktivitäten stellen die Bewegungen sich auf die Berichtsbereitschaft der Massenmedien und auf Televisibilität ein. ... Widerstand gegen etwas - das ist ihre Art, Realität zu konstruieren. ... Nichts spricht dafür, daß die Protestbewegungen die Umwelt, seien es die Individuen, seien es die ökologischen Bedingungen besser kennen oder richtiger beurteilen als andere Systeme der Gesellschaft."
(Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2, 1998, Kap. 4/XV, Protestbewegungen, S. 847-865)
Da steht dem Beobachter das Spektakel um den Stuttgarter Kopfbahnhof lebendig vor Augen. Der Protest als flüchtige soziale Form wird angeschoben von Berufsprotestlern, die auf ein ansprechbares Netzwerk von stets protestierbereiten Reiseprotestlern überall in Deutschland von Attac bis Greenpeace zugreifen können, denen sich dann über den Herdentrieb und die Lust an Protest und Randale lokal viele Latentprotestler anschließen können.
Vgl. dazu auch den stets lesenswerten Gerd Roellecke, Nur Müdigkeit wird den Protest beenden, FAZ 1.11.10
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