Steuer: Paul Kirchhof, Ein Viertel für den Staat, F.A.Z., 10.05.2008
Die CSU hat die Steuerlast auf die politische Tagesordnung gesetzt. Sie will die Einkommensteuer vor allem für die Mittelschicht senken. Die Konkurrenz ist nervös. SPD und CDU wollen weiterhin lieber ungestört den enormen Geldsegen ausgeben, den ihnen Steuererhöhungen, Konjunktur und Inflation in die Kassen spielen. Gerade ist man dabei, zur Wahl 2009 noch einmal ordentliche Ausgabenzuwächse im verschuldeten Bundeshaushalt zu beschließen. Diese Freigebigkeit zeigt: Es war höchste Zeit für den Vorstoß der Christsozialen, den Bürgern, die ein halbes Jahr nur für ihren Staat arbeiten, mehr Geld zu belassen. Wie viel ist des Staates, wie viel des Bürgers? Über diese grundsätzliche Frage hat wohl niemand in diesem Land so viel nachgedacht und Recht gesprochen wie der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof. Er warnt: Soll die Steuer nicht vom Garanten zum Gegner der Freiheit werden, muss der Staat klare Regeln setzen und Maß halten. Ein Viertel ist genug. (hig.)
Die Steuer ist Garant und Gegner der Freiheit. Sie gewährleistet individuelle Freiheit, weil sie die Finanzierung des Staates grundsätzlich auf die steuerliche Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens ausrichtet, das Staatsunternehmen also strukturell ausschließt und damit die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in privater Hand belässt. Ein Staat, der sich nicht oder nicht ausreichend aus Steuern finanziert, wäre unter den Bedingungen der modernen Demokratie und Erwerbswirtschaft darauf verwiesen, sich eigenhändig am Erwerbsleben zu beteiligen, also staatliche Wirtschaftsunternehmen zu gründen, Herrschaft über Löhne und Preise zu übernehmen, damit die private Hand zugunsten der öffentlichen aus dem Markt zu verdrängen. Nur der steuerfinanzierte Staat schafft die verfassungsrechtlichen Strukturen, in denen sich privatnützige Eigentümer-, Berufs- und Vereinigungsfreiheit entfalten können.
Ebenso aber gefährdet die Steuer individuelle Freiheit. Geld ist geprägte Freiheit. Deshalb ist jeder zur Erfüllung einer Steuerschuld gezahlte Euro ein Verlust an individuellen finanzwirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten. Die Steuer wahrt individuelle Freiheit nur in einer Kultur des Maßes, wenn ein Steuerzugriff die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Steuerpflichtigen nicht grundlegend verändert, die Steuer die Gemeinlasten auf alle Schultern der leistungsfähigen Bürger gleichmäßig verteilt und diese Belastungsprinzipien für jedermann allgemein ersichtlich und unausweichlich erscheinen.
Die Steuer raubt dem Grundrechtsberechtigten gegenwärtig aber vor allem ein Stück seiner Freiheit, wenn sie ihn durch Anreize und Privilegienangebote zu einem bestimmten Verhalten drängt. Der Staat verzichtet auf hundert Euro Steuerzahlung, wenn der Zahlungspflichtige tausend Euro seines Kapitals in einem staatlich definierten Umweltprogramm bindet. Durch diese Verlockung einer Steuerersparnis ist der Freiheitsberechtigte besonders sensibel betroffen, weil er seinem eigenen Erwerbsmotiv folgt, er in der Erwartung eines Steuervorteils von vornherein keinen Willen gegen das staatliche Lenkungsprogramm bildet, er also vielfach die steuerliche Verführung kaum bemerkt.
Diese Verlockung führt vielfach in die ökonomische Unvernunft: Ein Verhalten, das der Bezieher von Einkommen oder der Vermögende aus eigener ökonomischer Einsicht wählt, bedarf keiner steuerlichen Anreize, würde vielfach nur in Mitnahmeeffekten andere Steuerpflichtige belasten, die den lenkungsbedingten Ertragsausfall durch Mehrzahlungen auszugleichen hätten. Eine Steuerlenkung aber zu einem Verhalten, das der Steuerpflichtige nach eigenen ökonomischen Erwägungen so nicht wählen würde, lenkt in die ökonomische Torheit, wenn der Grundgedanke unseres Wirtschaftssystems richtig ist, dass individuelles Erwerbshandeln nach eigenverantwortlichem, wettbewerblichem Gewinnstreben am ehesten individuellen Bedarf erkundet und befriedigt, die Erneuerungsfähigkeit des Wirtschaftssystems wahrt, in der Summe der individuellen Erwerbsanstrengungen am ehesten das allgemeine Wohl fördert.
Diese Steuerlenkung, diese Verführung des Steuerpflichtigen durch staatliche Anreize und Abreize ist heute keine Randerscheinung des Steuerrechts mehr, sondern für viele Erwerbszweige und Marktregionen die Regel. Banken- und Versicherungsgeschäfte sind heute weitgehend Steuergeschäfte. Der Bausparer und der Rentensparer fragen ebenso wie der Großanleger nach einem Geschäftsmodell, das Steuern spart und möglichst einen großen Teil der Rendite in der Steuerersparnis erzielt. Das deutsche Steuerrecht hat so in unterschiedlichen Bereichen - der Landwirtschaft, der Filmwirtschaft, der Schiffswirtschaft, dem Wohnungsbau, der Industrieansiedlung, der Denkmalpflege, dem Umweltschutz, der Kulturgüterindustrie - Kapitalströme geleitet, auch fehlgeleitet und Kapital vernichtet. Vielfach sind dabei die Kosten der Steuervermeidungsstrategie - etwa der wirtschaftlich nicht sinnvollen Fremdfinanzierung, der Zeitwahl für eine Investition, der Standortwahl, der Organisationsform oder der Umwegfinanzierung - höher als die Steuerersparnis.
Der dramatische Fall der in der Zivilrechtsprechung so benannten "Schrottimmobilie" belegt die Fehlentwicklung. Dort hatten Investoren Grundstücke erworben, die sich nicht vermieten, deswegen auch nicht veräußern ließen. Sie haben "Schrott" gekauft, Kapital verbrannt, teilweise um den Preis der Kreditfinanzierung, stehen damit vor der Asche ihrer Investition und vor der Realität ihrer Schulden. Das staatliche Steuergesetz hat den Steuerpflichtigen auf den Weg der Unvernunft, in das ökonomische Unglück geführt.
Einen wesentlichen Freiheitsverlust erleidet der Steuerpflichtige aber auch, wenn er sich durch Regeltatbestände des Steuerrechts vom geradlinigen Weg unternehmerischen Entscheidens abbringen lässt. Er sehnt sich steuerlich nach hohen Abschreibungsvolumina, möglichst vielen Verlusten, geringen Erträgen und Gewinnen. Diese Bemühungen richten sich allerdings nur auf die steuerliche Darstellung eines wirtschaftlichen Sachverhalts, nicht auf die vom Prinzip der Gewinnmaximierung bestimmte tatsächliche Erwerbsanstrengung. Das Steuerrecht trägt in den erwerbswirtschaftlich tätigen Menschen einen Zwiespalt: Er sucht den immer größeren Erfolg, möchte aber steuerlich in stetigem Misserfolg gesehen werden.
Viele Unternehmen schütten Gewinne aus, obwohl sie steuerlich keine Gewinne ausweisen. Damit wird die Freiheitsidee, jeder müsse den Staat steuerlich maßvoll an seinem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben lassen, verfehlt. Der Unternehmer nutzt den staatlich garantierten Frieden, um seinen Geschäften nachzugehen; setzt das staatlich bereitgestellte Vertragsrecht und den Gerichtsschutz ein, um Vereinbarungen zu treffen und durchzusetzen; stützt sich auf das Währungsrecht, um Preise zu bestimmen und Werte aufzubewahren; produziert und handelt mit den durch staatliche Schulen und Universitäten qualifizierten Arbeitskräften und beansprucht die im Inland verfügbare Kaufkraft, um Einkommen zu erzielen, sucht aber die Finanzierungslast dieses Systems jeweils anderen Steuerpflichtigen aufzubürden. Eine solche Umverteilung verfälscht den kollektiven Preis für die Nutzung von Gemeingütern, gefährdet damit die Überzeugungskraft der Freiheitsidee und letztlich das System einer freien Marktwirtschaft.
Das Unbehagen an diesem von Anreiztatbeständen, Lenkungsangeboten und Regelwidrigkeiten durchsetzten Steuerrecht ist allgemein. Es gibt mehr als 500 Ausnahme-, Privilegien- und Lenkungstatbestände allein im deutschen Einkommensteuerrecht. Das Arglistige dieses Rechts liegt in dem Befund, dass fast jeder Steuerpflichtige mindestens eine dieser Bevorzugungen in Anspruch nimmt. Er wähnt sich deshalb auf Seiten der Begünstigten, ohne zu ahnen, dass sein Konkurrent oder gar sein Feind deutlich mehr Privilegien in Anspruch nimmt.
So wird die strukturelle Gegenwehr gegen das Privilegiensystem des geltenden Steuerrechts, gegen die Bevormundung durch steuerliche Verlockungen, gegen das Kartellsystem gruppenerkämpfter und gruppennütziger Ausnahmetatbestände geschwächt, wenn jeder Steuerpflichtige sich zumindest in einem Vorzugstatbestand für die Nutzung dieses Systems hat kaufen lassen. Günstlinge eines Herrschaftssystems sind schlechte Kämpfer gegen Übermaß und Willkür dieser Herrschaft. Kritiker könnten verstummen, wenn das kritikwürdige System ihnen Vorteile zu bringen scheint.
Gegenwärtig wird ein weiterer, besonders schwerwiegender Verlust an Freiheit durch das Steuerrecht bewusst - die Last des Verschweigens und Verschleierns, die eine selbstbewusste und stolze Gegenwehr des freien Bürgers gegen Fehlentwicklungen des Steuerrechts verhindert. Wer sich auf Steuergestaltungen in der Grauzone des Rechts oder jenseits des Rechts eingelassen hat, verweigert die nach Gesetz und Gleichheit geschuldete Steuerzahlung, nähert sich mehr und mehr der Illegalität, der Kriminalität. Es ist kaum verständlich, warum wirtschaftlich erfolgreiche Menschen, die sich ihr Leben finanziell glanzvoll gestalten könnten, zu dem existentiellen Risiko der Strafbarkeit bereit sind. Für ein solches Verhalten gibt es kaum rational nachvollziehbare Gründe. Es erklärt sich allein aus dem Autoritätsverlust des Steuerrechts.
Wenn das Strafrecht sagt: Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten, ist diese gesetzliche Regel für jeden Bürger verbindlich und wird grundsätzlich beachtet. Gleiches gilt wie selbstverständlich für andere Bereiche des Jedermannsrechts - das Straßenverkehrsrecht, das Umweltrecht, das Privatrecht des Leistungstausches, das Gesundheitsrecht oder das Atomrecht. Nur im Steuerrecht begegnet der Pflichtige einer gesetzlichen Anordnung mit der Frage an seinen Berater, wie dessen Rechtsfolge zu vermeiden sei. Normalerweise gehört es sich nicht, verbindlichem Recht auszuweichen. Der ehrbare Kaufmann, der redliche Bürger, der billig und gerecht Denkende weiß, dass gesellschaftlicher Frieden, ein offener Markt, freiheitliches Produzieren und Tauschen nur in einem verbindlichen rechtlichen Rahmen möglich ist, Freiheit sich also nur als Freiheitsrecht ereignen kann.
Das Steuerrecht hingegen hat seine innere Autorität, seine Vertrauenswürdigkeit vielfach verloren. Dem Steuerpflichtigen leuchtet es nicht ein, warum er so viel und sein Konkurrent vielleicht so wenig Steuern zu zahlen hat. Die Steuerlast ist teilweise übermäßig, bleibt oft ohne ersichtlichen Belastungsgrund, erscheint vielfach als eine im Gesetzestext benannte Pflicht, die sich vermeiden lässt.
Der Steuerpflichtige empfängt den Steuerbescheid nicht als Ausdruck seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die ihn stolz machen könnte, weil er 75 Prozent seines Einkommens für sich und 25 Prozent für die Gemeinschaft verdient hat, sondern er empfindet die Steuerschuld als einen intellektuellen Selbstvorwurf, weil er bei hinreichender Gestaltungscleverness die Steuerlast weiter hätte vermindern können. Und wenn er seine Steuererklärung eigenhändig mit seinem guten Namen unterschreibt, mag er bestätigen, dass er seinen Steuerberater sorgfältig ausgesucht hat. Das Recht verlangt von ihm jedoch die Bestätigung der Richtigkeit des Erklärten; diese Aussage ist ihm schlechthin unmöglich, weil er die Anforderungen des Steuergesetzes nicht versteht, nicht verstehen kann.
Der Staat fordert etwas Unmögliches. Doch der Steuerpflichtige erklärt nun nicht, dass er sich zu dieser Aussage nicht in der Lage sehe, sondern arrangiert sich mit dem Formular, erfüllt also Steuerrechtspflichten nicht mehr mit der gleichen Gediegenheit, in der er einen Vertragstext prüfen und unterzeichnen würde.
Mit dieser Labilität gegenüber dem Recht beginnt eine innere Distanz zur Verbindlichkeit des Steuergesetzes, die den Pflichtigen in die Grauzonen des Rechts, schließlich in die Bereitschaft zur Steuerhinterziehung führt. Nach Beobachtungen von Fachleuten ist die Steuerhinterziehung inzwischen zum Massendelikt geworden. Bei Auslandseinkünften, bei der Schwarzarbeit, an der Grenze zwischen Betriebs- und Privatsphäre, bei der Zurechnung von Aufwand und Ertrag werden steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig dargestellt, um Steuern zu verkürzen. Zu einigen Teilmärkten gewinnt der strikt auf Steuerlegalität bedachte Nachfrager kaum noch Zugang. Hat sich der Steuerpflichtige dann einmal auf die Illegalität eingelassen und Schwarzgeldkonten angelegt, ist die Rückkehr in die Legalität - trotz der Möglichkeit der Selbstanzeige - oft so erschwert, dass dieser Weg nur schwer gangbar ist, jedenfalls von manchem Berater nicht energisch empfohlen wird. Und die nächste Generation steht im Erbfall vor der Frage, ob sie den Erblasser im Nachhinein der Steuerhinterziehung überführen und insoweit weitgehend auf das Erbe verzichten wird. Vielfach fällt dann die Entscheidung für die Fortsetzung der Illegalität. Das Unrecht vermehrt sich, die Vorkehrungen für das Recht wirken nur schwach.
Dieser Entwicklung wird der Staat alleine durch Strafverfahren nicht Herr werden. Auch genügt die notwendige und richtige Klarstellung nicht, Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt, sondern eine verwerfliche Straftat, die insbesondere diejenigen schädigt, die den staatlichen Ertragsausfall durch Steuerhinterziehung durch anderweitige Steuerzahlung ausgleichen müssen. Das Problem liegt tiefer. Der Staat muss sein Steuerrecht so umgestalten, dass die Maßstäbe der Besteuerung wieder zu rechtlichem Gemeingut werden, das allgemeine Rechtsbewusstsein prägen, zum selbstverständlichen Handlungsmaßstab alltäglichen Wirtschaftens werden.
Der Verlust des Rechtsgedankens im Steuerrecht, die abgeschwächte Verbindlichkeit einer Teilrechtsordnung begründet eine fundamentale Gefahr für die individuellen Freiheitsrechte. Freiheit braucht die Sicherheit im Recht. Der Steuerpflichtige sucht vor allem die Gewissheit über das, was er dem Staat schuldet, und das, was der Staat von ihm nicht verlangen darf. Wer das Recht aber nicht versteht oder gar Rechtserhebliches zu verbergen hat, verständigt sich mit den Finanzbehörden ungeachtet des Rechtsmaßstabes, sucht Einvernehmen und Einverständnis, statt seine Freiheit im Rahmen des Rechts zu beanspruchen. Bürgerstolz und Selbstbewusstsein in wirtschaftlicher Eigeninitiative und wirtschaftlichem Eigenerfolg gehen verloren. Der Rechtsstaat droht in seiner Freiheitsgarantie just dort zu scheitern, wo der Bürger am ehesten in eine Krise mit seinem Staat gerät, mithin den verlässlichen Rechtsmaßstab erwartet - beim Finanzamt.
Deswegen ist es ein elementares Gebot gegenwärtiger Gesetzgebung, dem Steuerpflichtigen durch ein einfaches, allgemeinverständliches, einsichtiges Recht die Grundlagen seiner Freiheit zurückzugeben. Das Einkommensteuerrecht ist so zu erneuern, dass jedermann in einfachen Rechtsprinzipien erfährt, was sich steuerlich gehört, welche gleichbleibenden Pflichten er seinen Planungen zugrunde legen darf, welche Steuerregeln ihn in seinen unternehmerischen Entscheidungen - möglichst wenig - beeinflussen.
Der historische Gedanke des biblischen Zehnten wird den hohen Erwartungen an den modernen Staat kaum noch gerecht. Doch wenn sich die Regel in das allgemeine Bewusstsein einprägt, dass jeder Einkommensbezieher nach einem Freibetrag von 10 000 Euro pro Person und Jahr und einer Entlastung weiterer 10 000 Euro ein Viertel seines Einkommens dem Staat schuldet, entwickelt sich ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsmaßstab, der bald zum Gemeingut des Wirtschaftslebens und des Anstandsgefühls wird.
Auch eine solche einfache und unausweichliche Steuer wird der Mensch nicht mit Freuden bezahlen, wohl aber in der Einsicht in die unausweichlichen Bedingungen eines freiheitlichen Erwerbssystems entrichten. Dieses Steuerrecht würde auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines Straftatbestandes der Steuerhinterziehung genügen, der voraussetzt, dass für den potentiellen Straftäter die Erwartungen des Rechtsstaates an sein Verhalten im Vorhinein ersichtlich sind.
Die Steuer ist Bedingung für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Bürger, damit für die allgemeine Prosperität. Deswegen muss sie so gestaltet sein, dass sie die Leistungsfähigkeit nicht hemmt, die Leistungsbereitschaft nicht verfälscht. Die maßvolle und allgemeinverständliche Steuer wird ein Instrument sein, das allgemein Leistungsfreude und Leistungsbewusstsein stärkt, das Fundament unseres freiheitlichen Systems also festigt. Während gegenwärtig der Kleinverdiener scheel auf den Großverdiener schaut und fragt, warum dieser so viel und er so wenig Einkommen erziele, wird auch der Kleinverdiener in Zukunft Freude am wirtschaftlichen Erfolg des Großverdieners haben, weil dieser Erfolg zu fast 25 Prozent der Allgemeinheit und damit auch ihm gehört. Für die Zukunft wird er hoffen, dass der wirtschaftliche Erfolg des anderen noch wachse, damit noch mehr Geld in der Gemeinschaftskasse verfügbar ist.
Und wenn dann der Bundespräsident, jeder Ministerpräsident, jeder Bürgermeister zum Jahresanfang jeweils die dreißig ehrbaren Steuerzahler mit den größten Zahlungen einladen würde, um sich öffentlich bei ihnen für ihren wirtschaftlichen Erfolg - 75 Prozent privatnützig, 25 Prozent gemeindienlich - zu bedanken, würde sich das Denken in Deutschland grundlegend verändern. Auch dabei weiß der Bürger zu rechnen: Die Freude an drei Viertel zur eigenen Verwendung ist größer als die an einem Viertel für die Gemeinschaftskasse. Doch auch die Freude an der - zu einem Viertel gemeindienlichen - Leistung des anderen entwickelt sich. So weist uns das Steuerrecht idealtypisch den Weg von der scheelen zur tatkräftigen Leistungsgesellschaft.
Die Verführung des Steuerpflichtigen durch staatliche Anreize ist keine Randerscheinung des Steuerrechts.
Text: F.A.Z., 10.05.2008, Nr. 109 / Seite 13
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