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"Die DDR war keine Diktatur"
Schüler wissen wenig über den früheren deutschen Teilstaat / Studie der Freien Universität. 19 Jahre nach dem Mauerfall wissen viele Schüler aus Ost und West nur sehr wenig über die DDR. In einer am Freitag veröffentlichten Befragung wurde beispielsweise der ehemalige Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Willy Brandt als berühmter DDR-Politiker bezeichnet. Einige Schüler vertraten die Meinung, dass es unter Staats- und Parteichef Erich Honecker in der DDR demokratische Wahlen gegeben habe. Die Studie stammt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin. Befragt wurden mehr als 5200 Jugendliche in Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin.
Die meisten Schüler wussten nicht, wer 1961 die Mauer errichtet hat. Viele tippten auf die Bundesrepublik oder die Alliierten. Fast die Hälfte der ostdeutschen und 66 Prozent der westdeutschen Schüler bejahte die Aussage "Die DDR war keine Diktatur, die Menschen mussten sich nur wie überall anpassen." Die meisten kannten nicht einmal die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie.
Die Forscher fanden auch heraus, dass es zwischen Kenntnisstand und Urteil über die DDR einen Zusammenhang gibt: Wer wenig weiß, beurteilt die DDR positiver. Dabei gab es deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Viele ostdeutsche Schüler lobten die sozialen Aspekte des SED-Staates, ohne jedoch die diktatorischen und repressiven Seiten zu sehen. Westdeutsche Jungen und Mädchen lobten - wenn auch in abgeschwächter Form - ebenfalls soziale Dimensionen des Lebens, kritisieren aber mehrheitlich den Charakter einer Diktatur.
Die Forderung der Studienautoren ist eindeutig. Die Wissenschaftler forderten die Schulen auf, ihre Lehrpläne stärker auf das Thema DDR einzustellen. Außerdem sollten die beiden kommenden Jahre als Erinnerungsjahre an den Fall der Mauer und die deutsche Vereinigung zur ausführlichen Beschäftigung mit der deutschen Teilungsgeschichte genutzt werden, raten sie. Allerdings nützt offenbar der beste Unterricht nichts gegen die Ostalgie der Alten. "Eine in vielen ostdeutschen Schulen kaum überwindbare Barriere stellen Eltern und Großeltern von Schülern dar, die das von kritischen Lehrern vermittelte DDR-Bild zurückweisen und ihren Kindern ihre eigene nostalgische Sicht gleichsam aufzwingen", haben die Forscher herausgefunden.'
Text: F.A.Z., 26.07.2008, Nr. 173 / Seite 4
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