Schlichtungsversuch nach islamischem Recht?
Nach dem Erzbischof von Canterbury erregt nun Lord Phillips als höchster britischer Richter die Gemüter
LONDON, 7. Juli. Nur wenige Monate nachdem Rowan Williams, der Erzbischof von Canterbury, einen Sturm der Entrüstung entfesselt hatte mit der Vorstellung, dass die Anwendung von Teilen des islamischen Rechts bei der Schlichtung von zivilen Streitigkeiten in Großbritannien unvermeidlich sei, hat Lord Phillips, der höchste Richter des Landes, die Debatte mit einer Rede vor einem muslimischen Publikum aufs neue entflammt (F.A.Z. vom 5. Juli).
Phillips, dem als Lord Chief Justice das Gerichtswesen von England und Wales untersteht, skizzierte einleitend den langen Weg zur Erlangung der Gleichheit aller vor dem Gesetz von Magna Carta über Habeas Corpus bis hin zu der jüngeren Rechtsgebung gegen rassische und politische Diskrimierung, bevor er auf das Verhältnis zwischen britischem Recht und dem Glauben von Minderheiten zu sprechen kam. Rowan Williams sei missverstanden worden, als er ein System erwog, in dem einzelne Personen wählen könnten, welcher Gerichtbarkeit sie sich unterstellten, um bestimmte zivile Fragen zu lösen, sagte Phillips und erinnerte daran, dass er den Vorsitz geführt habe bei dem Vortrag des Erzbischofs, der vielerorts als Kapitulation der Staatskirche vor dem multikulturellen Zeitgeist empfunden wurde. Ähnlich wie Williams bemühte sich auch Lord Phillips die in Britannien verbreiteten "Fehlannahmen" über die Scharia zu beseitigen. Bezeichnend ist auch, dass er sich seine jüdischen Großeltern erwähnte, die 1903 aus Alexandrien nach England gekommen seien, wo sie die gesetzlich gewährte Freiheit von allen Formen der Diskriminierung zu finden hofften.
Phillips bekannte, kein Kenner des islamischen Rechts zu sein, wies aber daraf hin, dass er viel gelesen und unlängst in Oman mit Anwälten über die Anwendungsarten des islamischen Rechts dort diskutiert habe. Das britische Gesetz sehe bereits vor, dass bestimmte vertragliche Auseinandersetzungen durch die Vermittlung einer von beiden Seiten anerkannten Instanz geschlichtet werden könnten. Nach diesem Prinzip gebe es "keinen Grund, weshalb die Grundsätze des islamischen Rechts, oder irgendeines anderen religiösen Kodex nicht als Schlichtungsbasis" dienen sollten. Der Richter und der Erzbischof können sich zwar auf die hergebrachten Grundsätze des Internationalen Privatrechts berufen können, wenn sie bestreiten, dass sie parallelen Rechtssystemen Vorschub leisten. Den Warnungen ihrer Kritiker, sie stellten die Gleichheit der Bürger zur Disposition, gibt aber der Kontext ihrer Interventionen Gewicht.
Lord Phillips trug seine Ausführungen in dem der Ostlondoner Moschee angegliederten London Muslim Centre vor, das sich rühmt, "aktiv Toleranz und Verständis zu fördern". Ed Husain, der in seinem Buch "The Islamist" beschreibt, "warum ich mich dem radikalen Islam in Großbritannien angeschlossen habe, was ich dort sah, und weshalb ich ihn wieder verlassen habe", behauptet demgegenüber, dass er den Westen in der Ostlondoner Moschee hassen gelernt habe. Dort sei er überzeugt worden von Rednern, deren Fanatismus inspiriert war durch den islamistischen Denker Abul Ala Maududi, der zum organisierten Kampf für den islamischen Staat aufrief, auch unter Einsatz des eigenen Lebens: "Was bedeutet der Verlust einiger Menschenleben, selbst wenn es einige Tausende oder mehr sein sollten, gegenüber dem Unheil, das die Menschheit befallen würde, wenn das Böse über das Gute und der aggressive Atheismus über die Religion Gottes den Sieg davontragen würde?"
Bei der feierlichen Eröffnung des London Muslim Centre vor drei Jahren leitete Abdul-Rahman al-Sudais, einer der führenden Imame der Großen Moschee von Mekka, ein Gebet für zwischenreligiösen Frieden und Harmonie. Einige radikale islamisch Geistliche sind bekannt dafür, dass sie mit zwei Zungen reden. Al-Sudais wettert in seinen Predigten gegen die "schlimmsten Feinde des Islam", die Gott "als Affen und Schweine schuf, die aggressiven Juden und repressiven Zionisten und jene, die ihnen folgen: die Anrufer der Dreiheit und Kreuzanbeter". Diese Hintergründe muss man berücksichtigen, bevor die Reaktionen auf die Einlassungen von Phillips und Williams als Hysterie abgetan werden. GINA THOMAS
Text: F.A.Z., 08.07.2008, Nr. 157 / Seite 36
// In der Scharia gibt es sehr pragmatische Elemente, daran wird Phillips denken - allerdings: die Fundierung ist kollektivistisch, während die englische Entwicklung seit der Magna Charta, die die europäische stark beeinflußt hat, die Rechte der Individuen beständig gestärkt hat. Die Scharia bewirkte in den letzten tausend Jahren den Entwicklungsstillstand, der in den islamisch beeinflußten Kulturen zu verzeichnen ist. Es gilt, die Scharia zu individualisieren. In Europa kann nur europäisches Recht gelten.
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