DR. LUISE HACKELSBERGER, FAZ-Leserbrief
Versorgungsdenken
Zur Warnung vor "Sozialstaatlicher Freiheitsgefährdung" von Wolfgang Kersting (F.A.Z. vom 7. Juni) gehört der Mut, der Egozentrik von Vater Staat wie der des unmündig gewordenen "Bürgers" entgegenzutreten. Endlich spricht ein Autor aus, was uns allen nur noch latent bewusst ist: Längst haben wir Freiheit und Risikobereitschaft gegen staatliches Versorgungsdenken eingetauscht, und die Vorstellung vom Staat als alleinigem Zuteiler von Wohlergehen und Glück ist uns ebenso geläufig geworden wie seine Anmaßung, unser aller Leben täglich ordnen und regulieren zu wollen. Dass der Bürger selbst zu schützen, zu bürgen, zu gewähren hat, was sein Leben und das seines Nachbarn verlangt, ist unserem Denken entfallen. Wir gleichen domestizierten, ständig beobachteten, gut dressierten und bequem gewordenen Tieren im Gitter, denen nur noch eine fabelhafte Technik ihre Allmacht vorgaukelt, denen sonst aber im sozialen Käfig Brotbrocken zugeteilt werden, die sie zufriedenstellen. Dass sie die Zeche zahlen und ihren Zuteilern Selbsterworbenes in die Hand gegeben haben, dämmert nur wenigen. Und manchem der so Entmündigten, dem eigenes Lebensrisiko noch erstrebenswert erscheint, trifft die Neid-Schelte der übrigen Gitter-Insassen, wenn er selbständig ein paar Bissen mehr erhaschen kann. Er wird vor den Kadi gezerrt. Individualität verkümmert, Bürgerlichkeit gibt ihre Rechte ab. Ob eine Rückkehr zu selbständigem Denken und Handeln möglich ist?
DR. LUISE HACKELSBERGER, NEUSTADT/WEINSTRASSE
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