"Entsorgung radioaktiver Abfälle. Suchen, um nicht zu finden.
Von Stefan Dietrich, FAZ
26. August 2008 Zügig und ergebnisorientiert“ wollten CDU, CSU und SPD eine „Lösung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle“ suchen. So steht es in den Koalitionsvereinbarungen vom November 2005.
Der zuständige Bundesumweltminister Gabriel ist diesem Auftrag bisher eher zögerlich und ausweichend nachgekommen. Auch seine kürzlich vorgelegten Sicherheitsanforderungen, die Ende Oktober auf einer Anhörung zur Endlagerung erörtert werden sollen, täuschen Handeln nur vor. Wenn die Kanzlerin oder andere Regierungsmitglieder aufzählen, was bis zum Ende der Legislaturperiode abgearbeitet sein soll, wird die „Lösung“ dieser Frage gar nicht mehr erwähnt.
Kaum jemand stört sich daran: nicht die Medien, die noch jeden falsch gesetzten Dübel in einem Kernkraftwerk zum ernsten Zwischenfall aufbauschen, aber die Untätigkeit der Bundesregierung in der Entsorgung beharrlich übersehen; nicht die Energiekonzerne, die aus dieser Untätigkeit Nutzen ziehen, weil sie umso länger über die milliardenschweren Rücklagen verfügen können, die sie für die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle gebildet haben; nicht die Atomkraftgegner, die sich nur zu gern darauf berufen, dass die Endlagerfrage „ungelöst“ sei, und die nichts mehr fürchten als den Tag, an dem diese Behauptung nicht mehr zutrifft.
Der Wendepunkt, an dem die „ergebnisorientierte“ Entsorgungspolitik gestoppt und in ihr Gegenteil verkehrt wurde, war der Beginn der rot-grünen Koalition vor bald zehn Jahren. Mit der ihm eigenen Selbstgewissheit erklärte der damalige Umweltminister Trittin alles, was bis dahin an Geld und wissenschaftlichem Sachverstand in die Suche nach geeigneten Standorten investiert worden war, für unzulänglich und unverantwortlich. Mit Rot-Grün sollte die Suche von vorn beginnen, und zwar mit der Vorgabe, dass alle Arten radioaktiver Abfälle in einem einzigen Endlager untergebracht werden sollten.
Es gab nur eine Schwierigkeit: Wollte der Bund die weit gediehenen Projekte Gorleben und Schacht Konrad aufgeben, musste er ihre Nichteignung nachweisen. Andernfalls hätte er die erheblichen Aufwendungen zurückzahlen müssen, mit denen die Abfallverursacher bis dahin in Vorleistung getreten waren. Dieser Nachweis gelang weder in Gorleben noch in Schacht Konrad. Für das Endlager Konrad konnte die Genehmigung schon nicht mehr versagt werden; für Gorleben vereinbarte die Regierung mit der Energiewirtschaft ein auf zehn Jahre befristetes Verbot jeglicher weiterer Erforschung des dortigen Salzstocks. Die Zeit sollte für die Erkundung „alternativer Standorte“ genutzt werden.
Geschehen ist das nicht. Trittin rief einen Arbeitskreis Endlager ins Leben, dessen Ausarbeitung er sich nie zu eigen machte; er ließ umfangreiche theoretische Untersuchungen über die Eignung verschiedener Wirtsgesteine anstellen, die bestätigten, was Geologen schon vorher wussten, und vergab zahlreiche Gutachten, deren Nutzen nie erkennbar wurde. Willfährige Helfer dieser Verzögerungstaktik waren nicht nur das dem Umweltminister unterstellte Bundesamt für Strahlenschutz, sondern auch wissenschaftliche Gremien, die der Bundesregierung mit unabhängigem Sachverstand dienen sollen.
Obwohl klar war, dass Trittins Ein-Endlager-Konzept den Nachweis der Langzeitsicherheit erschweren, wenn nicht gar vereiteln würde, wurde es nie öffentlich kritisiert. Erst Trittins Nachfolger ließ es stillschweigend fallen. Statt die Endlagersuche voranzutreiben, zwang Trittin die Kraftwerksbetreiber, neue Zwischenlager einzurichten. Damit brachte er zwar den Gorleben-Protest zum Schweigen, vervielfachte aber zugleich die Zahl oberirdischer Lagerstätten für hochradioaktive Abfälle, was nicht der Sicherheit der Bevölkerung diente.
Nach der Rückkehr zur getrennten Aufbewahrung hochradioaktiver Abfälle besteht Umweltminister Gabriel weiterhin darauf, die Endlagersuche außerhalb Gorlebens fortzusetzen. Begründung: Erst durch Vergleich könne man den „bestgeeigneten“ Standort auswählen. Das Atomgesetz und der geologische Verstand sagen freilich, dass es nur geeignete und ungeeignete Lagerstätten geben kann.
Zudem wartet Gabriel nun mit zwei neuen Überraschungen auf: Er erhöht die Anforderungen an die Langzeitsicherheit von hunderttausend auf eine Million Jahre und verlangt, dass die eingelagerten Stoffe „mindestens fünfhundert Jahre lang“ rückholbar sein müssten. Der erste Punkt ist praktisch unerfüllbar; der zweite steht ihm diametral entgegen. Entweder gibt es ein wartungsfreies Endlager, das mehrere Eiszeiten übersteht, ohne dass die eingelagerten Stoffe wieder an die Oberfläche gelangen, oder man hält die Zugänge offen und riskiert damit auch unabsichtliche Freisetzung von Radioaktivität. Die Nichtrückholbarkeit war einer der wenigen Punkte, in denen über alle Kursänderungen hinweg Einigkeit bestand.
Gemessen an der Zielstrebigkeit, mit der bis 1998 an einer verantwortbaren Lösung des Endlagerproblems gearbeitet wurde, herrscht seither auf diesem Gebiet das reine Chaos. Angerichtet haben es Sozialdemokraten und Grüne, denen angeblich nichts mehr am Herzen liegt als der Schutz der Bevölkerung. Die sollte ihnen das nicht länger abnehmen.
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