Putins Lieblingsbeschäftigung? Wie sich der neue Zar inszeniert.
Fremde Federn: Jonas Grätz
Gemeinsame energiepolitische Antwort
Wer meinte, Russland werde die abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien schon wegen der ethnischen Probleme auf eigenem Gebiet nicht anerkennen, hat ein grundlegendes Merkmal russischer Politik verkannt: die Regulierung von Konflikten durch staatliche Machtressourcen. Separatistische Bestrebungen stehen in Russlands seit den zwei Tschetschenienkriegen nicht mehr auf der Tagesordnung - allein der Gedanke daran, dass die russische Armee erst den Aufstand ohne Rücksicht auf internationales Recht zerbombte und dann mordend durch die Berge zog, dürfte genügend abschrecken. Und man erinnert sich an die Reaktion der "Weltgemeinschaft", welche die russische Führung gewähren ließ. In Russland wird es daher jetzt keine gewaltsamen separatistischen Bestrebungen geben.
Wo es hingegen der russischen Macht nutzt, werden ethnische Merkmale bereitwillig als Unterscheidungsmerkmal verwendet. Sie bilden eine stabile Konfliktlinie, die zur Durchsetzung der eigenen Interessen verwendet wird. Da kann die eigene Machtpolitik durch die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker legitimiert werden. Der Regulator dieser ethnischen Konflikte ist jedoch einzig und allein staatliche Macht, sie wird zur Eindämmung oder Eskalation genutzt. Solange Russland auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion als unbestrittene Hegemonialmacht auftritt, kann und wird sie ethnische Konflikte nach Gutdünken handhaben.
Angesichts der in Georgien geschaffenen Fakten können EU und Vereinigte Staaten jetzt nicht viel unternehmen. Es gilt allerdings, Schlimmeres zu verhindern. Dem muss die Erkenntnis vorausgehen, dass die bisherigen Bemühungen der EU zur Einbindung und Transformation Russlands gescheitert sind. Wir haben es weiterhin mit einem Akteur zu tun, der verschiedenste Machtmittel einsetzt, um seinen Einfluss zu erweitern.
Seine nächsten Ziele sind bereits artikuliert: Das russische Außenministerium hat erklärt, das "Regime Michail Saakaschwilis" widerspreche den "hohen Standards der Weltgemeinschaft". Russland empfinde aber gegenüber dem georgischen Volk "aufrichtige Gefühle der Freundschaft und Sympathie". Daher werde darauf hingearbeitet, dass Georgien eine "würdige Führung" erhalte.
Auch in der Ukraine könnte Moskau ethnische Konflikte für eine Abspaltung der Krim nutzen. In der russischen Bevölkerung würde dies auf breite Zustimmung stoßen: Viele Russen meinen, dass die Krim nicht wirklich zur Ukraine gehöre, da sie erst 1954 von Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik angeschlossen wurde. Der kremltreue Auslandssender Russia Today verbreitete: Die Grenzen in Europa seien häufig künstlich von Diktatoren gezogen worden. Dies führe heute zu vielen ethnischen Konflikten in der Nachbarschaft Russlands, die gelöst werden müssten, insbesondere in der Ukraine. Man müsse eine Abspaltung erörtern, um ein neuerliches Blutvergießen zu vermeiden. Auch Moldawien und die abtrünnige Republik Transnistrien wurden erwähnt: Alle Parteien dort wollten nicht einen neuen Krieg provozieren.
Die russische Politik ist voll von Widersprüchen. Die EU und die Vereinigten Staaten können da nur Schadensbegrenzung betreiben. Diese kann jedoch nicht in Zugeständnissen an Russland und darin bestehen anzuerkennen, dass es den postsowjetischen Raum unter Missachtung des Völkerrechts umgestalten kann. Der Kritik müssen nun Taten folgen - auch wenn diese kostspielig sind. Denn alles andere wird - in gewisser Weise zu Recht - als Schwäche verstanden. Der Kreml rechnet nicht mit der strategischen Handlungsfähigkeit der EU und einer kohärenten Reaktion des Westens. Bisher konnte er sich darauf verlassen, dass seine Einschätzung zutrifft und auf die Verlautbarungen der Westeuropäer, man werde sein Vorgehen "nicht akzeptieren", keine Taten folgten. Doch nun haben die EU und die Vereinigten Staaten die Chance, durch geschlossenes und bestimmtes Agieren die russische Elite zu überraschen.
Für die EU bestehen besonders in der Energiepolitik Handlungsmöglichkeiten. Diese sind zudem defensiver Art. Damit der Monopolist Gasprom nicht mehr die einzelnen Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen kann, muss der "politische Markt" der EU monopolisiert werden. Es wäre bedeutend, wenn sich die Europäer jetzt entschlössen, ihre nationalen Energiepolitiken zu vereinheitlichen. Dies enthält auch die vollständige Trennung von Netz und Betrieb sowie den Ausbau der transeuropäischen Netzinfrastruktur für Gas. Als Auftakt sollte ein Beschluss gegen das auffälligste Symbol nationaler Alleingänge - die Nord Stream Pipeline durch die Ostsee - gefällt werden. Das Projekt verleiht Russland zusätzliche Macht gegenüber den bisherigen Transitstaaten Ukraine, Weißrussland und Polen.
Der Verfasser ist Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
Text: F.A.Z., 30.08.2008, Nr. 203 / Seite 12
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