Dmitrij Rogosin, Russlands Ständiger Vertreter bei der Nato
"Konflikt zwischen Russland und der Nato
Aufs Haupt geschlagen
19. August 2008 Der frühere russische Präsident Wladimir Putin hat einst gesagt, der Zerfall der Sowjetunion sei die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts. Nicht allen im Westen hat diese Auffassung gut gefallen, doch es bleibt eine Tatsache – bis jetzt erleben wir die Folgen dieser ohne Zweifel globalen Katastrophe. Die heutige Situation in Georgien und Südossetien ist ein leuchtendes Beispiel dafür.
Auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion erlebt man diese Folgen in verschiedener Weise. Im Kaukasus gibt es außer Georgien noch zwei souveräne Staaten, zwischen denen schon 15 Jahre lang ein Konflikt herrscht; außerdem ist er viel ernster als die zwei kleineren Konflikte in Georgien. Aber im Unterschied zum Präsidenten Georgiens vermeiden die armenische und die aserbaidschanische Führung eine unnötige Zuspitzung des Konflikts und strengen sich stattdessen an, die Wirtschaft zu entwickeln. Das führt zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaft schnell wächst und das Lebensniveau sich verbessert. Dabei unterhalten Baku und Eriwan normale Beziehungen zu allen Partnern – mit Russland, Europa und den Vereinigten Staaten.
Gegenangriff auf ein dummes Abenteuer
Und was ist los mit Georgien? Der Staat, der vor kurzem einer der wohlhabenden der Region war, hat sich in 15 Jahren noch nicht aus der tiefen Krise befreit. Vielmehr hat Georgien alles getan, um aufzurüsten – auch gegen das eigene Volk. Der von Beratern in den vergangenen vier Jahren trainierten Armee samt ihren modernen Waffen, die sich Georgien angesichts seiner Haushaltslage eigentlich nicht leisten kann, wurde in wenigen Stunden aufs Haupt geschlagen – in einem Gegenangriff auf ein dummes Abenteuer.
Wer zerstört und wer hütet übrigens das georgische Volk? 1783 schloss der weise georgische Zar Irakli II. den Vertrag von Georgijewsk mit Russland, der den russischen Zaren verpflichtete, das Königreich Kartlien-Kachetien zu schützen. Irakli II. hatte seinen Thron geopfert, aber sein Volk vor der vollständigen Vernichtung durch die Truppen des türkischen Sultans und des persischen Schahs gerettet.
Damals lebten nur zweihunderttausend Georgier; heute gibt es viel mehr Abchasen. Den Georgiern ging es gut im Russischen Reich und in der Sowjetunion – 1990 lebten in dem Land 7,8 Millionen Menschen; heute leben in Georgien ungefähr fünf Millionen. Weil es weder einen großen Krieg noch eine andere Katastrophe nach dem Ende der Sowjetunion gab, bedeutet das, dass ein Drittel der Bevölkerung das „demokratische Paradies“ Saakaschwilis verlassen hat oder seinen militaristischen Reformen zum Opfer gefallen ist.
Chance verspielt
Russland hat die Georgier immer liebgehabt und für Brüder gehalten. Der Beitrag der besten Vertreter des georgischen Volkes zur russischen Geschichte, Literatur und Kunst ist nicht zu überschätzen. Unsere kulturellen Verbindungen sind vielfältig. Nur ein Beispiel hierfür: Der große russische Dichter Alexander Gribojedow, der mit Nino Tschawtschawadse verheiratet war, einer Tochter des ebenfalls großen georgischen Dichters Alexandre Tschawtschawadse, ist im Pantheon an dem allen Georgiern heiligen Berg Mtazminda in Tiflis beigesetzt.
Für Millionen Russen ist das Geschehen in Georgien und Südossetien keine abstrakte Angelegenheit, sondern es berührt sie auch privat. Aber im Westen interessiert sich wahrscheinlich niemand für die Einzelheiten dieser Geschichte, und in Georgien unterrichtet man Geschichte mittlerweile auf eine ganz andere, speziell auf den georgischen Führer ausgerichtete Weise. Niemand erinnert sich daran, dass es eigentlich Russland war, das eine lange Zeit die Unabhängigkeit und Integrität des georgischen Landes gewährleistete. Niemand erinnert sich auch daran, dass die Georgier seit dem 15. Jahrhundert nach einem russischen Protektorat strebten.
Hätte Georgien den Weg der Nachbarn Armenien und Aserbaidschan gewählt, hätte es die Chance gehabt, die jahrhundertealten Vorurteile der Abchasen und Osseten zu überwinden. Heute, in unserer Zeit, ist diese Chance verspielt. Wer den abenteuerlustigen Saakaschwili inspiriert hat, den militärischen Weg einzuschlagen, ihm Waffen geliefert und auf Nachbarn gehetzt hat, der hat auch das Recht, den Ruhm des „Verlierers“ mit ihm zu teilen."
Der Autor ist der Ständige Vertreter Russlands bei der Nato. FAZ 20.8.08
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