- " Ich bin Neda
Der Mord an einer jungen Frau zeigt der ganzen Welt, was in Teheran geschieht.
"I am Neda" steht auf Plakaten von Demonstranten in Los Angeles. "#Neda" schreiben Tausende Twitterer in ihren Beiträgen. "Neda, bleib bei mir!", schreit ein Mann in Teheran. Zwischen den Ereignissen liegen 12 210 Kilometer und weniger als vierundzwanzig Stunden.
Neda ist tot. Sie starb an einer Schussverletzung am Samstagmorgen. Nur wenige Stunden später stand ein Video auf Youtube, auf dem ihre Ermordung zu sehen ist: Ein Schuss trifft die junge Frau in den Brustkorb, sie stürzt zu Boden. Zwei Helfer versuchen vergebens, die Blutung zu stoppen. Neda stirbt binnen einer Minute.
Wie bei allen Informationen, die aus Teheran über Kanäle wie Twitter, Facebook oder Weblogs kommen, ist es schwierig bei der Geschwindigkeit, mit der sich die Bilder und Texte verbreiten, sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu püfen. Doch manche Bilder und Videos sprechen für sich, man glaubt den Absendern.
Auf die Videoplattform Youtube wurde die knapp vierzig Sekunden lange Handyaufnahme von der Ermordung der jungen Frau in Teheran noch am Tag ihres Todes gestellt. Das ist im Nachhinein zu erkennen. Per Twitter wurde der Link schnell verbreitet. Das konnte man live verfolgen. Wer im Laufe des Sonntags bei dem Mikrobloggingdienst den Hashtag (Twitter-Schlagwort) "#Neda" eingegeben hat, bekam sekündlich Dutzende neue Tweets. Schnell tauschten Nutzer auf ihrem Account das eigene Bild mit einem stilisierten Foto der toten Neda. Die Bilder von ihrem Tod gingen noch am selben Tag durch die Medien. Fernsehsender wie CNN, Al Dschazira, die BBC und auch die deutschen Sender zeigten die Youtube-Bilder, bisweilen machten sie das Gesicht der jungen Frau unkenntlich. An der Echtheit der Bilder hatte schnell niemand mehr Zweifel.
Die Informationen über Neda fließen etwas langsamer: Neda Mahdavi Agha Soltan heißt die Getötete mit vollem Namen. Sie war 26 Jahre alt und studierte Philosophie. Augenzeugen berichten, sie sei mit ihrem Professor am Samstagmorgen auf einer Demonstration im Teheraner Stadtteil Abbas Abad gewesen. In manchen Tweets ist aber auch zu lesen, der Mann an ihrer Seite sei ihr Vater. Zwei Basidschis - die gefürchteten "Religionswächter" - fuhren mit ihren Motorrädern auf sie zu und erschossen sie mit einem Revolver. Andere Augenzeugen aus Teheran schreiben, "sie wurde von einem Basidschi erschossen, der sich auf dem Dach eines Wohnhauses versteckt hatte".
Zu den Ereignissen vor Nedas Tod gibt es auch ein Video. Es zeigt einen der Männer, der auf dem Video von ihrem Tod zu sehen ist. Neben ihm steht die verschleierte Neda. Als sich die Demonstration langsam auflöst, bekommt die Studentin offensichtlich einen Anruf. Sie bleibt hinter der Menschenmasse zurück.
Neda wurde am Sonntag, an dem Tag, als sie zur Ikone der Widerstandsbewegung in Iran wurde, auf dem Zentralfriedhof Behesht Zahara beerdigt. Eine kurzfristig angesetzte Gedenkveranstaltung, die am Sonntagabend in der Nilufar-Moschee im Stadtteil Abbas Abad stattfinden sollte, wurde wieder abgesagt.
Unter iranischen Oppositionellen und in den Medien der westlichen Welt gibt es an einer Sache keine Zweifel: Neda ist die Ikone des Widerstands. Eine unschuldige, wehrlose Frau wird auf offener Straße kaltblütig erschossen. Diejenigen, die sich den Videofilm angesehen haben, konnten in ihr Gesicht schauen, in das Gesicht einer Frau, deren Leben binnen Sekunden erlischt. An ihren Blick werden sich die Menschen von nun erinnern, wenn sie an Mahmud Ahmadineschad und das iranische Regime denken. Der Tod der Studentin ist ein Fanal, er steht auch für die Opfer, die wir in Bildern nicht sehen, mit keinem Zensurmittel der Welt wird Ahmadineschad diesen Eindruck revidieren. Das Video zeigt die Willkür einer Gewaltherrschaft, deren religiöse Rhetorik nichts als Camouflage ist. Am Montagnachmittag sollte in Teheran eine Gedenkkundgebung für Neda Mahdavi Agha Soltan stattfinden. MARCO DETTWEILER
Text: F.A.Z., 23.06.2009
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