Donnerstag, 3. September 2009

Nationalismus



Militärdiktator Napoleon hat sich gerade edel und groß zum Kaiser gekrönt und eröffnet das Zeitalter des Nationalismus

- Nationalismus
- - ' Niemand will zum Osten gehören.
Eine windige Geschichte: Vergeblich fahnden Historiker auf einer Londoner Tagung nach deutschen Bildern des Westens vor 1914
Der Husarengeneral Bamme weiß, woher der Wind weht. Fontane lässt ihn in "Vor dem Sturm" das Aufkommen bürgerlicher Offiziere erklären. "Und woher das alles? Sie wissen es. Von drüben. Westwind." ...' FAZ 2.9.09 ///
Es handelt sich aber um eine spezifische, nicht verallgemeinerbare Stelle. Ernst Fraenkel verwendet ab 1960 den Begriff 'westliche Demokratie'; mir scheint, in Abdifferenzierung zu dem der 'Volksdemokratie' der östlichen Diktaturen. In Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen" läßt sich zumindest inhaltlich ein französischer Westen auffinden, und dem Osten wird mehr 'Tiefe' zugeschrieben. Er hat das in seinem Bekenntnis zur Weimarer Republik in der Rede "Von deutscher Republik" revidiert. Während die Weimarer Republik aber eher eine Berliner Republik war und Berlin eine Weltstadt, in der viele Amerikanismen sichtbar waren (Werbung, Jazz, Tänze etc.), so setzte der Versailler Diktatfrieden doch 'östliche' Akzente. Die deutsche Regierung wurde insbesondere von der französischen Regierung mit vielen Schikanen bedacht, die in der Ruhrbesetzung gipfelten. Das Verbot einer angemessenen Armee mit entsprechender Bewaffnung führte nach Rapallo 1922 zu einer Zusammenarbeit, insbesondere der Wehrmacht, mit Rußland, dem anderen Paria. Hier knüpfte der Hitler-Stalin-Pakt an. Die politische und kulturelle Atmosphäre wurde davon wenig berührt, und je mehr sich die Amerikaner gegenüber den Franzosen durchsetzten, desto mehr wuchsen die deutsch-amerikanischen Kontakte (Handel, Investitionen, Young- u. Dawes-Plan).

- - Das OPFER ist eine Kategorie, das Kollektivisten seit der Steinzeit schätzen und Nationalisten stets pflegten:
"Werner Hegemann: Spätaufklärung in der Weimarer Republik .
Aus Goethes "Iphigenie" und Hofmannsthals "Alkestis" gewann der deutsche Essay ist eine Kritik der Opferidee, die zur modernen Gewaltideologie geworden war. ..." FAZ 2.9.

- - Und erst die GRÖSSE: Großes Gefühl, großes Opfer, großer Sieg, große Kultur, große Nation etc. Nietzsche hat diesem Affen auch Zucker gegeben, aber mit doppelter Perspektive: "Nietzsche über Größe. Scheinriese .
Das Denken auf den Weg der Größe zu führen war für Nietzsche die letzte Zuflucht, nachdem er die idealistische Metaphysik zerstört und die Diagnose des Nihilismus gestellt hatte. ... Was er verachtet, ist nicht das Kleine, sondern das geistig Kleine, die erlogene Größe idealistischer Begriffe. ... daß man sich von Nietzsche zwar noch inspirieren, aber nicht mehr infizieren lassen will." FAZ 2.9. Tagungsbericht /// Gut so! Aber mancher geistig Kleine hat sich an den großen Sprüchen berauscht oder sie gar mißbraucht. Am besten hält man es vielleicht mit Epikur: "Ich spucke auf das Edle und auf jene, die es in nichtiger Weise anstaunen, wenn es keine Lust erzeugt. (Fragmente, Ethik) Das ging wohl an Platon, den Edlen. Hier könnte man sicher für das EDLE auch GRÖSSE einsetzen, aber die beiden treten auch gerne zusammen auf.

- - Bertolt Brecht: Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer (Geschichten vom Herrn Keuner) :
Herr K. hielt es nicht für nötig, in einem bestimmten Lande zu leben. Er sagte: "Ich kann überall hungern." Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen.
Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß erwünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden.
"Wodurch", fragte Herr K., "bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen."

/// Die Dummheit läßt sich bekanntlich nicht ausrotten, auch Brecht selbst demonstriert das mit seiner Grunddummheit, seiner Verfangenheit in marxistischem Denken; erst spät dämmert ihm, welchen Kasper er für Ulbricht gegeben hat. Nationalismus zeugt Nationalismus, das aber ist eine gültige Einsicht, und auch für diese schöne Keuner-Geschichte muß man ihm dankbar sein. Kann man den Nationalismus ausrotten? In China herrscht ein extremer Nationalismus, in Rußland wird er neu belebt, und es ließen sich, allein in Osteuropa, noch viele Namen nennen. Man kann ihn vielleicht aufweichen durch Wohlstand und durch internationale Verflechtung, durch Nationalstaatskonstruktionen wie die Schweiz und die USA, durch europäische Gemeinsamkeiten wie die gemeinsame Währung. Das ist schon recht viel. Brecht hat auch gesehen, daß man denen, die ein einfach gestricktes Angebot brauchen, auch ein solches machen muß:

Kinderhymne

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's.
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

(Bert Brecht)

Auf zweifelhafte Begriffe könnte man hier sicher verzichten, auf das Gummiwort "verbessern" etwa, das der Erziehungsdiktatur den Weg ebnet, oder das Nebelwort "Volk" und "Völker", das eine Einheit suggeriert, die es nirgendwo gibt, schon gar nicht in Europa, und das den Pluralismus der Lebensformen als weitaus wichtigste Errungenschaft der Zivilisation nicht in den Blick geraten läßt.
Noch wichtiger als ein moderates nationales Identifikationsangebot (darunter fallen alberne Fußballspiele mit ihrer ekelhaften Sauferei bei angeschlossener Schlägerei vorher, nachher und am Rande aber nicht!) scheint mir aber das landschaftliche Heimatangebot mit regionaler Traditionspflege. Das macht etwa den internationalen Reiz Bayerns aus.

- - Viele Reden werden gehalten, um den eigenen Nationalismus zu schützen. Wenn Stalin in Rußland wieder verstärkt gezeigt wird, dann nicht, um den originalen Stalinismus erneut hervorzuholen, sondern um den russischen Nationalismus zu pflegen und ihn geschichtlich zu unterfüttern; daher auch der Befehl des MP Medwedjew, russische Historiker auszuschalten, die die russische Geschichte kritisch untersuchen.

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