Mittwoch, 4. April 2012
Original europäisch-amerikanisch
Das Begreifen der Kindheit als einer eigenständigen Entwicklung, die zudem in sich noch mehrfach gegliedert ist, brauchte lange Zeit in Europa; in weiten Teilen der Welt steht dieser Prozeß noch am Anfang.
Das kranke Kind
Die Gegend lag so helle,
Die Sonne schien so warm,
Es sonnt sich auf der Schwelle
Ein Kindlein krank und arm.
Geputzt zum Sonntag heute
Ziehn sie das Tal entlang,
Das Kind grüßt alle Leute,
Doch niemand sagt ihm Dank.
Viel Kinder jauchzen ferne,
So schön ist's auf der Welt!
Ging' auch spazieren gerne,
Doch müde stürzt's im Feld.
"Ach Vater, liebe Mutter,
Helft mir in meiner Not! -"
Du armes Kind! die ruhen
Ja unterm Grase tot.
Und so im Gras alleine
Das kranke Kindlein blieb,
Frug keiner, was es weine,
Hat jeder seins nur lieb.
Die Abendglocken klangen
Schon durch die stille Welt,
Die Engel Gottes sangen
Und gingen übers Feld.
Und als die Nacht gekommen
Und alles das Kind verließ,
Sie haben's mitgenommen,
Nun spielt's im Paradies.
Eichendorff
Auch wenn Eichendorf stets ein wenig zu erhabener Rührseligkeit neigt, so behandelt sein Gedicht doch das ernste Problem von Kindern, die die falschen oder keine Eltern haben. Bei Waisen liegt das offen zutage, doch gibt es die Kindernot auch in der Gegenwart des Sozialstaates, wo gleichgültige oder nachlässige Beamte den Kindern skrupelloser Eltern keine Hilfe leisten. Was heute ein Randproblem bei Asozialen darstellt, war zu Eichendorffs Zeiten eher alltäglich. Mit der Bauernbefreiung eskalierte es zum Massenphänomen in den Städten, wohin viele Landarbeiter zogen und, der ländlichen Heiratsverbote entronnen, massenhaft Kinder zeugten, die sie nicht ernähren und erziehen konnten. Der ungeheuren Produktivkraft der industriellen Marktwirtschaft gelang innerhalb erstaunlich kurzer Zeit, was im Orient auch heute noch schlecht gelingt: die Behebung der elementaren Lebensnot; entsprechend sind solche Fälle wie dieses Verhalten eines indischen Ärztepaares nicht ungewöhnlich:
AGENTURMELDUNGEN AP / FAZ 3.4.12
"Indische Polizei rettet 13-jähriges Dienstmädchen vor dem Verhungern. 30.03.2012
Die indische Polizei hat Medienberichten zufolge ein sechs Tage lang eingesperrtes und vom Hunger bereits geschwächtes 13-jähriges Dienstmädchen gerettet. Die Arbeitgeber waren demnach in den Urlaub nach Thailand gefahren und hatten das Kind nur mit wenig Nahrung und Wasser in ihrer Wohnung eingesperrt. …”
Nach der langwierigen Entwicklung der industriellen Marktwirtschaft in Europa und deren wichtiger Weiterentwicklung in den USA kann sie heute fertig kopiert und weltweit als Betriebswirtschaft studiert werden. Das geschieht auch, doch gelingt die Umsetzung im Orient nur langsam. Insbesondere bereitet der Rationalismus der Familienplanung große Probleme. Traditionell und sekundiert vom christlichen Aberglauben setzen Orientalen (und Afrikaner sowie katholische Südamerikaner) eine Vielzahl von Kindern in die Welt, die sie nicht versorgen können und die das einzelne Kind entwertet. Daher werden in Indien insbesondere Mädchen, die bei Orientalen ohnehin nur die Hälfte Wert sind, möglichst schnell aus dem Haus gejagt und in Heirat, fremde Haushalte oder in die (Kinder-)Prostitution gegeben.
Lieblose Eltern sind natürlich nirgendwo ausgestorben. Neben die asoziale Verwahrlosung ist in Europa und Amerika die Wohlstandsverwahrlosung getreten. In letzterer haben die Kinder, meist ist es nur noch eines, den Status geliebter Haustiere eingenommen, die man verwöhnt, für die man aber nicht so viel Zeit hat und die man möglichst früh in die Hände von Angestellten in Kinderbatterien abgibt.
Gut, daß der Mensch viel aushält, die meisten jedenfalls.
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