In der Regel hören junge Leute keine Vorträge, wenn
es dafür keine Punkte gibt, hier mußten sie durch eine List Gempers und einer
Lehrerin zwei geschlagene Zeitstunden zuhören – dann kamen sie aber groß heraus
und sorgten für einen kritischen, plakativen Akzent. Es waren Schüler eines
Gymnasiums der Klasse 12.
"Neues China - wohin geht es?"
Zu diesem aktuellen Thema hatte der pensionierte
Siegener Ökonom
Bodo Gemper dieses Jahr in seiner Reihe Franz-Böhm-Kolleg den Schanghaier
Generalkonsul Wolfgang Röhr eingeladen. Der, ein Jurist, begann seinen Vortrag
mit einem Vergleich: Sowohl Deutsche als auch Chinesen betrachteten sich nicht
als Bürger eines Landes, sondern einer Kultur.
Für Deutschland scheint mir das
einigermaßen zweifelhaft zu sein angesichts der Kulturvergessenheit in Schule
und Hochschule, und die Deutschen in Österreich und der Schweiz betrachten sich
zweifellos als Schweizer und Österreicher.
Für die herrschenden rotchinesischen Politiker
stimmt das ebenfalls nicht: sie pflegen den Nationalismus und führen gerade
Nationalismusunterricht in Hongkongs Schulen ein. Dagegen gibt es Protest.
Davon war der Generalkonsul weit entfernt, das gehört auch nicht zu seinen
diplomatischen Aufgaben. Immerhin erwähnte er "chauvinistische
Pressetendenzen" bei der GLOBAL TIMES, die auch auf Englisch erscheint.
Auch die fehlende Niederlassungsfreiheit erwähnte Röhr; Chinesen vom Lande und
ihre Kinder bleiben Bürger ihrer Herkunftsprovinz. Ansonsten sang er aber ein
großes Loblied auf China und seine Chargen, deren großes Interesse an
Deutschland er herausstellte. Die Ursache sah er u.a. in der fast völlig
fehlenden deutschen Kolonialvergangenheit, Tsingtau sei nur eine kurze Episode
gewesen.
Ob die chinesische Politik auch die FDJ-Vergangenheit der Kanzlerin
Merkel und die deutsche Kauf-mich-Politik schätzt? Man darf es zumindest
vermuten. Röhr beklagte die Neigung der deutschen Medien, vorwiegend Negatives
über China zu berichten und das Deutsche Kulturjahr in China mit seinen
zahlreichen Veranstaltungen 2011 fast unerwähnt gelassen zu haben. Hier sah er
sich wohl in der Pflicht, dagegenzuhalten und die großen Gewinne und
Investitionen der großen deutschen Unternehmen hervorzuheben, und auch die
inzwischen nach seiner Darstellung erreichte Rechtssicherheit in Patentfragen
zu loben. Auf mittelständische Unternehmen ging er dabei nicht ein.
Die
Globalisierung sei ein Krieg mit zwei Gewinnern: das seien Deutschland und
China, so der französische Politologe Emmanuel Todd, den Röhr, offenbar
zustimmend, zitierte.
Dabei sah er China als kommende mächtigste
Wirtschaftsmacht und zählte die bekannten Wachstumszahlen auf. Das erinnerte an
die Tonnenideologie vergangener Zeiten, in denen die Sowjetunion für die
nächsten 5 Jahre die Überholung Amerikas prophezeite. Die "DDR" galt seinerzeit bei SPIEGEL, ZEIT und der Bundesregierung als sechststärkste Wirtschaftsmacht.
Der Jurist Röhr sollte den Stand von Wissenschaft
und Technik in China genauer studieren und sehen, zu welch großem Teil die pure
Montage hinter den chinesischen Zahlen steckt, wie im Beispiel Apple/Foxconn,
und wie viel Übernahme bei IBM und Lenovo. Die niedrigen chinesischen Löhne
spielen im globalen Wettbewerb weiter eine große Rolle, und bei einfacher
Technik wie Photovoltaik reicht das, um die deutschen subventionsgemästeten
(EEG) Solarfirmen zu überbieten.
So dumm wie die deutsche Bundestagspolitik
sind aber die USA selbst unter Obama nicht, daß sie teure, zweitklassige
Energieerzeugung bevorzugen und komplexe Kerntechnik aufgeben. Es wird noch
lange dauern, bis Rotchina eine innovativ führende Wirtschaftsmacht sein wird.
Einstweilen gilt noch überwiegend: Es ist alles nur geklaut. Aber auch das will
ja gekonnt sein.
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