Sonntag, 9. September 2012

Fast alles gekonnt geklaut





In der Regel hören junge Leute keine Vorträge, wenn es dafür keine Punkte gibt, hier mußten sie durch eine List Gempers und einer Lehrerin zwei geschlagene Zeitstunden zuhören – dann kamen sie aber groß heraus und sorgten für einen kritischen, plakativen Akzent. Es waren Schüler eines Gymnasiums der Klasse 12.


"Neues China - wohin geht es?"
Zu diesem aktuellen Thema hatte der pensionierte Siegener Ökonom
Bodo Gemper dieses Jahr in seiner Reihe Franz-Böhm-Kolleg den Schanghaier Generalkonsul Wolfgang Röhr eingeladen. Der, ein Jurist, begann seinen Vortrag mit einem Vergleich: Sowohl Deutsche als auch Chinesen betrachteten sich nicht als Bürger eines Landes, sondern einer Kultur. 
Für Deutschland scheint mir das einigermaßen zweifelhaft zu sein angesichts der Kulturvergessenheit in Schule und Hochschule, und die Deutschen in Österreich und der Schweiz betrachten sich zweifellos als Schweizer und Österreicher.
Für die herrschenden rotchinesischen Politiker stimmt das ebenfalls nicht: sie pflegen den Nationalismus und führen gerade Nationalismusunterricht in Hongkongs Schulen ein. Dagegen gibt es Protest. Davon war der Generalkonsul weit entfernt, das gehört auch nicht zu seinen diplomatischen Aufgaben. Immerhin erwähnte er "chauvinistische Pressetendenzen" bei der GLOBAL TIMES, die auch auf Englisch erscheint. 
Auch die fehlende Niederlassungsfreiheit erwähnte Röhr; Chinesen vom Lande und ihre Kinder bleiben Bürger ihrer Herkunftsprovinz. Ansonsten sang er aber ein großes Loblied auf China und seine Chargen, deren großes Interesse an Deutschland er herausstellte. Die Ursache sah er u.a. in der fast völlig fehlenden deutschen Kolonialvergangenheit, Tsingtau sei nur eine kurze Episode gewesen. 
Ob die chinesische Politik auch die FDJ-Vergangenheit der Kanzlerin Merkel und die deutsche Kauf-mich-Politik schätzt? Man darf es zumindest vermuten. Röhr beklagte die Neigung der deutschen Medien, vorwiegend Negatives über China zu berichten und das Deutsche Kulturjahr in China mit seinen zahlreichen Veranstaltungen 2011 fast unerwähnt gelassen zu haben. Hier sah er sich wohl in der Pflicht, dagegenzuhalten und die großen Gewinne und Investitionen der großen deutschen Unternehmen hervorzuheben, und auch die inzwischen nach seiner Darstellung erreichte Rechtssicherheit in Patentfragen zu loben. Auf mittelständische Unternehmen ging er dabei nicht ein. 
Die Globalisierung sei ein Krieg mit zwei Gewinnern: das seien Deutschland und China, so der französische Politologe Emmanuel Todd, den Röhr, offenbar zustimmend, zitierte. 
Dabei sah er China als kommende mächtigste Wirtschaftsmacht und zählte die bekannten Wachstumszahlen auf. Das erinnerte an die Tonnenideologie vergangener Zeiten, in denen die Sowjetunion für die nächsten 5 Jahre die Überholung Amerikas prophezeite. Die "DDR" galt seinerzeit bei SPIEGEL, ZEIT und der Bundesregierung als sechststärkste Wirtschaftsmacht. 
Der Jurist Röhr sollte den Stand von Wissenschaft und Technik in China genauer studieren und sehen, zu welch großem Teil die pure Montage hinter den chinesischen Zahlen steckt, wie im Beispiel Apple/Foxconn, und wie viel Übernahme bei IBM und Lenovo. Die niedrigen chinesischen Löhne spielen im globalen Wettbewerb weiter eine große Rolle, und bei einfacher Technik wie Photovoltaik reicht das, um die deutschen subventionsgemästeten (EEG) Solarfirmen zu überbieten. 
So dumm wie die deutsche Bundestagspolitik sind aber die USA selbst unter Obama nicht, daß sie teure, zweitklassige Energieerzeugung bevorzugen und komplexe Kerntechnik aufgeben. Es wird noch lange dauern, bis Rotchina eine innovativ führende Wirtschaftsmacht sein wird. 
Einstweilen gilt noch überwiegend: Es ist alles nur geklaut. Aber auch das will ja gekonnt sein.



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