Mittwoch, 23. Januar 2013

Junge, Junge, war in Moskau dabei





Gefühlsechter Übermensch, der Herr Stendhal 
(23.1.1783-1842; Bild: Wiki.)  




" ... obgleich uns bei unseren unglücklichen europäischen Zuständen seit Jahrhunderten jede eigene Erfahrung fern ist, so sehen wir doch, daß es den Amerikanern, trotzdem ihnen die Regierung nichts Schlechtes antut, innerlich offenbar an etwas fehlt. Man möchte sagen, die Quelle des Gefühls sei bei ihnen versiegt. Sie sind gerecht; sie sind vernünftig, aber keineswegs glücklich. "
Stendhal, Von der Liebe, 1822  

Kann denn das Gefühl versiegen? Kann der Gefühlsgenerator im Zwischenhirn, das Limbische System, abgeschaltet werden, "versiegen"? Wahrscheinlich nicht einmal im Falle einer schweren Demenz. Es kann sich wohl auf kindliche Zustände zurückbilden. Demente haben oft schwere Wutanfälle, mithin starke Gefühle. Ihre Gefühlskontrolle ist aber defekt. Das ist Teil der Demenz. 
Was meinte Stendhal dann? Hatte er Amerika bereist wie Tocqueville? Hat er zahlreiche Interviews geführt und das Ganze mit ausgedehnten Umfragen konfrontiert? 

Nein, Stendhal  war nie in den USA. Um zu fundierten Urteilen zu kommen, reicht einem Literaten das Bauchgefühl. Seinen eigenen Bauchnabel betrachtet er gern als den Nabel der Welt, das souffliert ihm seine künstlerische Intuition. Daß ihn seine Muse dort oder doch in der Nähe auch gerne kitzelt, bestätigt ihm sein tiefempfundenes Nabelweltgefühl. 
Den Amerikanern fehlt es also an Gefühl. Das ist künstlerisch verbürgt. Stendhal sagt es. Wer wollte der Wahrheit des Künstlers widersprechen? 
Niemand, er wäre denn ein Spießer. Höchstens könnte man fragen, ob Stendhal, der Umgang mit dem Supermann Napoleon pflegte und den Begriff 'homme superieur', 'Übermensch', erfand, einen zu großen Metergefühlsstab verwendete. Was hatte Stendhal nicht alles mit Napoleon erlebt! Allein der Rußlandfeldzug! Das setzt Maßstäbe. Das brennende Moskau! Ganz großes Theater. Da schlief keiner ein. Adrenalin pur. Aus dem gleichen großen künstlerischen Gefühl heraus erklärte Stockhausens Karl-Heinz 2001 die brennenden Zwillingstürme in New York zum größten Kunstwerk. Die Künstler haben einfach dafür das richtige Gefühl. Darauf kommts an. 
Diese langweiligen Yankees dagegen wollen Geld verdienen. Mit Gummistiefeln, Hustenbonbons und Zahnbürsten. Krämerseelen. Wenn da ein richtiger Stendhal, ein 'homme superieur', hinfühlt, ja, da kommt eben nichts rüber, da kommt nichts an. Tote Hose. Kein Glücksempfinden wie nach dem Übergang über die Beresina. Arme Amis. Abgestorben.  

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