Latein – ein lustiges Kinderspiel mit diesem schönen Unterrichtswerk
‚Vor dem
Weender Tore begegneten mir zwei eingeborne kleine Schulknaben, wovon der eine
zum andern sagte: »Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er ist ein
Lumpenkerl, denn gestern wußte er nicht mal, wie der Genitiv von Mensa heißt.«
So unbedeutend diese Worte klingen, so muß ich sie doch wiedererzählen, ja, ich
möchte sie als Stadtmotto gleich auf das Tor schreiben lassen; denn die Jungen
piepen, wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen,
trocknen Notizenstolz der hochgelahrten Georgia Augusta.’
So Heinrich Heine eingangs seiner „Harzreise“,
die er in Göttingen beginnen läßt.
Ja, das ist wirklich allerhand.
Den Genitiv von Mensa nicht kennen! Zur Mensa drängt, an der Mensa hängt, doch
alles, oder doch einiges. Die beiden braven Schüler kennen ihren Genitiv
natürlich. Aber wie ist es damit:
O vitae philosphia dux! Und es
geht noch weiter: „O vitae philosophia dux, o virtutis
indagatrix expultrixque vitiorum!“
Da muß man schon das Latinum
besitzen, wie es jetzt immer mehr Studien- und Prüfungsordnungen für Germanistik, Anglistik
und Romanistik als Eingangsvoraussetzung ausmustern bzw. schon ausgemustert
haben. Das bedrückt die Freunde des Lateins, und die Akademie der
Wissenschaften NRW veranstaltete ein Kolloquium, das die Bedeutung der alten
Sprache auch für die neuen erweisen sollte.
Eine Bedeutung hat das Latein
sicher, wer wollte das bestreiten? Wie groß jedoch diese Bedeutung ist, darüber
läßt sich trefflich streiten. Aber wer muß das obige Cicero-Zitat wirklich
übersetzen können? Wer muß diesen Aufwand an Grammatiklernen getrieben haben,
wenn er nicht Althistoriker oder Latinist werden möchte? Reicht nicht ein
Seminar im Studiengang ‚Latein für Germanisten’ o.ä.? Wahrscheinlich doch. Die
Mittel sind begrenzt, auch die intellektuellen, und von der Zeit sagen die
Lateiner ohnehin, daß sie knapp sei:
Ars longs, vita brevis.
Müssen die Abiturienten ihre
Zeit nicht auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren, wozu
bekanntlich auch die Grammatik gehört? Sprechen die Abiturienten nicht ziemlich
schlecht Deutsch? Und wieviel schlechter noch sprechen die Abiturienten
Englisch? Man mag es bedauern oder nicht, aber dank Kolonialismus hat Englisch
die Weltbedeutung gewonnen, die es für die Europäer unabdingbar macht, Englisch
zu beherrschen, um sich untereinander zu verstehen, und nicht nur, wie meist
jetzt, Flughafenenglisch.
Das obige Cicero-Zitat können uns getrost die
Latinisten übersetzen:
„O Philosophie, Lenkerin des Lebens, Entdeckerin der Tugend,
Siegerin über die Laster!“ (Cicero, Gespräche in
Tusculum, 5/5)
Die an der lateinischen Grammatik eingesparte
Zeit soll man auf die Lektüre klassischer Texte verwenden. Ob dies aber bei den
heutigen Gymnasiasten überhaupt möglich ist?
Im Zweifelsfall werden Eltern ihre Kinder doch in
die Lateinklasse schicken, weil dort eine andere Schülerauswahl vorhanden ist an
genetischem Material, Disziplin und Interesse am Lernen.
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