Wie weit geht Inklusion?
Ziemlich weit, so die Auffassung Rudolf Stichwehs, systemischer Soziologe in Bonn in seinem Vortrag am 19.10.16 in Düsseldorf:
“Demokratische und autoritäre politische Systeme: Zur Theorie des Politischen in der Moderne
In der Schwellenzeit von 1750 bis 1850 vollziehen sich in den Funktionssystemen für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Erziehung (und in anderen Funktionssystemen) strukturelle Transformationen, für die sich der Name ‚Revolution‘ (demokratische Revolution, industrielle Revolution, wissenschaftliche Revolution, educational revolution) eingebürgert hat. Alle diese Revolutionen sind Inklusionsrevolutionen, wenn sie es auch in sehr verschiedener Weise sind. Sie ruhen auf der Einbeziehung einer zunehmenden Zahl individualisierter Adressen in die Prozesse der betreffenden Funktionssysteme.
Im Fall der Politik heißt das betreffende Inklusionsregime Demokratie. Es wird in der amerikanischen Revolution (1776–1787) historisch erstmals in größerem territorialen Maßstab realisiert und steht seither als ein Modell für Adoption und Modifikation zur Verfügung. Zweihundertfünfzig Jahre nach diesem Vorgang sind Varianten von Demokratie die häufigste Form eines politischen Regimes in der Weltgesellschaft (ca. 120–130 von 200 Staaten). Zugleich aber existieren daneben eine Vielzahl autoritärer Regimes von erheblichem Gewicht und teilweise bedeutender symbolischer Prägekraft (China, Russland, Türkei, Saudi-Arabien, Singapur, Kuba, Ägypten, Iran). Diese autoritären Regimes dürfen nicht als Überbleibsel vormoderner politischer Formen verstanden werden, sind vielmehr überwiegend neuentstehende, spezifisch moderne Regimes. Sie ruhen auch auf modernen Inklusionsregimes auf, aber sie sind in dieser Hinsicht der institutionellen Realisierung von Inklusion (Parteien, Massenorganisationen, Militär, Kampagnen) von Demokratien gut zu unterscheiden. Das testet zugleich die erklärende Kraft einer Theorie der Inklusion.
Das Ziel des Vortrags wird es sein, in deskriptiver Hinsicht die wichtigsten Typen demokratischer und autoritärer Regimes herauszuarbeiten und in erklärender Hinsicht die Gründe dafür anzugeben, warum ein bestimmtes Land / eine bestimmte Region die eine oder die andere Option wählt. Welches sind die Gründe und Ursachen, die zu der Herausbildung der modernen Typen politischer Regimes führen? Was sind die Ursachen für Transfers zwischen den beiden Polen dieses Entscheidungsraums? Welche Normen und Werte stehen hinter den beiden Typen politischer Regimes und wie verhalten die beiden Pole sich zu der Frage eines Primats des Politischen unter den Funktionssystemen der Weltgesellschaft?” (Inhaltsangabe Stichweh)
Die Frage stellt sich, ob die Opposition autoritär/demokratisch nicht durch autokratisch/demokratisch ersetzt werden sollte, um zB autoritäre Demokratien von liberalen Demokratien zu unterscheiden. Die Brüsselkratie etwa wäre eine autoritäre Demokratie, weil sie weitgehend Entscheidungen oktroyiert, die von gewählten Regierungen getroffen werden. Anders die Autokratie Putins, die gelenkte Wahlen organisiert, wie das auch die iranische Priesterherrschaft tut. Die Autokratien regieren in alle (Funktions-)Bereiche hinein und lenken sie durch Interventionen aller Art. Die Justiz fungiert dabei als Büttel der Autokraten, während autoritäre Demokratien sich einer grundsätzlich unabhängigen Justiz unterordnen. (Natürlich spielt die politische Besetzungspolitik der Regierungen eine Rolle.)
Den „Kult des Individuums“ (Durkheim) tasten sie aber nicht an, vielmehr treiben sie die Inklusion immer weiter und sichern sie durch Sozialtransfers ab. Die Autokratien beziehen sich auf kollektive Einheiten wie Familie, Stamm und Nation, weil sie diese für leistungfähiger halten. Inklusion findet in ihnen weitgehend nur über die Wirtschaft statt, die für den Wohlstand des Einzelnen sorgt. Die Unterschiede fallen dabei sehr groß aus, weit größer als in den liberalen Demokratien. Die Clan-Autokratie Singapur steht mit rund 53.000 USD Kopfeinkommen an der Spitze, weit dahinter rangiert Rußland mit nur 8.000 USD und noch ärmer ist der Sudan mit rund 2.000 USD.
Die EU-Staaten warten mit rund 29.000 USD (bis 2015) auf, die Staaten der Euro-Zone mit rund 31.000 USD. An der Spitze stehen die USA mit rund 57.000 und die Schweiz mit 78.000 USD. (Zahlen statista)
Die liberalen Demokratien verfügen also über einen großen Wohlstandsvorsprung.
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