Wolf Doleys
Deficit spending
Wie die 68er aus ihrer Schwäche wunderbar
medienwirksam den Mythos ihrer Stärke inszenierten
Die Defizit-Generation. Was fehlte ihr nicht alles.Vor allem Zeit und
Zuwendung der Eltern, die mit dem Wiederaufbau und dem Vergessen der
Katastrophe beschäftigt waren, und die selbstverständliche
Eingliederung in eine gewachsene und selbstbewußte Gemeinschaft und
Gesellschaft. Sie traf auf eine tief verunsicherte Elterngeneration,
auf eine von einem Greis aus dem letzten Jahrhundert hausgroßväterisch
geführte Gesellschaft, die durch angestrengten Ökonomismus versuchte,
den Verlust der Selbstachtung auszugleichen, und sie traf auf die
individualistischste Frucht der Philosphiegeschichte, den Sartreschen
Existenzialismus mit seiner Hintertür zum Marxismus.
Sie rächte sich bitter. Aus dem ödipalen Aufbruch wurde ein
IHR-HABT-DIE-JUDEN-UMGEBRACHT-MENTALMASSAKER. Phantasielos wie sie
war, fiel ihr außer Medienspektakel nichts Neues ein. Dafür wurden die
historischen Mottenkisten geplündert: die nationalsozialistische
Vergangenheit eignete sich als permanentes Sperrfeuer, Wilhelm Reich,
der Sex-Guru, als Exotenkeule, Marx als metaphysischer
Geschichts-Prophet und Lenin und Trotzki als Muntermacher für die
eigene Handlungsstörung; aus der Gegenwart entnommen waren nur die
marxistischen Epigonen Mao, Ho Chi Minh und Che Guevara, die vor allem
als Karl-May-Ersatz dienten und auch sonst für karnevalistische
Verkleidungen und Vergnügungen gut waren. Kaum ein Apo-Flur ohne.
Der Judenmord der Alten konnte aber nicht nur für ödipale Zwecke
hervorragend eingesetzt werden; da man schwach und ideenlos war, ließ
sich damit clever das eigene Selbst stützen und stärken: sieh her,
Geschichte, uns fällt zwar selbst nichts ein, und marschieren können
wir auch höchstens bis Ende Kudamm, aber wir sind so grenzenlos gut;
unsere Väter haben die Welt noch mit Mord und Brand überzogen, wir
sind die wahren Engel der Gerechtigkeit; so güter sind wir, daß wir
uns für unsere Eltern doppelt schuldig fühlen, ewig wollen wir büßen
für ihr Unrecht, das macht uns ordentlich an und aggressiv, und wenn
unsere Altvorderen dem einen Guru nachgelaufen sind, dann machen wir
das genau umgekehrt, weil, selbst fällt uns ja nichts ein, dann opfern
wir dem Gegen-Guru, aber, bitte, nicht zuviel, Bafög und Wohngeld muß
schon sein, da verklagen wir den Alten, wenn nötig, neben dem Studium
müssen wir schließlich demonstrieren, die Talare und Röcke hochheben,
Arbeiter und Gesellschaft aufklären und der schlechten Welt endlich
das Heil bringen, ein full-time-job ist das, aber wir schonen uns
nicht, die Geschichte schaut auf uns, wer solls denn sonst machen, ist
doch alles braunes Istäblischment, noch der Dackel hat mitgemacht, die
Welt muß endlich revolutionär erlöst werden, FlowerPowerParzival ist
jetzt angesagt mit rotem Stern statt blauer Blume.
Es kam dann etwas anders. Warum sollte auch der zehnte Aufguß einer
Heilsgeschichte erfolgreicher sein als die Vorgänger. Alle bedeutenden
historischen Geschehnisse ereignen sich zweimal, hatte Marx sinniert,
einmal als Tragögie und einmal als Farce; wir müssen heute hinzufügen:
alle weiteren Male als pubertärer Medien-Karneval. Das macht dann
allerdings keine Geschichte mehr, nur Geschichtchen, wenigstens
hinterher vielfach mit Pensionsberechtigung. Jene Amtsrichter,
Rundfunk-Abteilungsleiter und Oberstudienräte etc., sie alle haben nur
noch die Fotos mit der roten Fahne, und Frank Zappa hängt auch nicht
mehr auf dem Klo; dort blitzt es noch manchmal nostalgisch auf: aber
schön war es doch.
Überdauert hat das alte Ressentiment aus der alten Schwäche.
Es fällt uns immer noch nichts Neues ein. Manchmal, hinterrücks,
fällen wir noch klassenkämpferische Mieturteile, lassen zum
Jubiläum die alten Kameraden interviewen und in gepflegtem Ambiente
ins Bild setzen. Und freuen uns, wenn die nachwachsende Generation uns
wenigstens noch die Aufmerksamkeit zollt, uns einen Tritt zu geben.
Mit Armani-Schuh. Fashionable gelitten haben wir immer gern.
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