Nichts wird zu Nichts
Dazu kommt, daß Mutter Natur in die Urelemente
Wiederum alles zerstreut und Nichts in das Nichts wird vernichtet.
Denn wär' irgendein Wesen in allen Teilen zerstörbar,
Würd' es den Augen entschwinden im Nu, sobald es der Tod trifft.
Denn dann braucht es ja keiner Gewalt, die Teile desselben
Auseinanderzuscheiden und ihre Verbände zu lösen.
Doch nun ist ja ein jedes aus ewigem Samen entsprossen:
Darum scheint die Natur die Vernichtung keines der Wesen
Zuzulassen, solang nicht von außen zerstörend die Kraft wirkt
Oder ins Leere sich schleichend von innen die Bindungen lockert.
Weiter, wenn etwa die Zeit, was sie alt und entkräftet dahinrafft,
Völlig vernichtend träfe und gänzlich verzehrte den Urstoff,
Woher führte denn Venus die Gattungen lebender Wesen
Wieder zum Licht und woher verschaffte die Bildnerin Erde
Jedem nach seinem Geschlechte das Futter zu Nahrung und Wachstum?
Woher füllten das Meer die von fernher strömenden Flüsse
Wie auch die eigenen Quellen? Wie nährte der Äther die Sterne?
Müßte doch längst, was immer aus sterblichem Körper bestehet,
In der unendlichen Zeit und Vergangenheit alles erschöpft sein.
Wenn nun in jener Zeit und den längst vergangenen Tagen[35]
Jene Stoffe bestanden, aus denen die Welt ist erschaffen,
Müssen sie sicher besitzen ein unzerstörbares Wesen.
Also kann in das Nichts auch das Einzelne nimmer zerfallen.
Endlich müßte der nämlichen Kraft und der nämlichen Ursach'
Überall alles erliegen, sofern nicht der ewige Urstoff
Hielte den ganzen Verband bald mehr bald minder vernestelt.
Denn schon die bloße Berührung genügte den Tod zu bewirken,
Weil ja die ewigen Körper dann mangelten, deren Verbindung
Jegliche Kraft erst müßte zuvor auflösend zerstören.
Aber da untereinander die Klammern der Urelemente
Völlig verschieden sie binden und ewiglich dauert der Urstoff,
Hält sich der Dinge Bestand solang, bis die einzelne Bindung
Einer genügenden Kraft, um jene zu sprengen, begegnet.
Nichts wird also zu Nichts, doch löst sich hinwiederum alles,
Wenn es zur Trennung kommt, in des Urstoffs Grundelemente.
Endlich die Regenergüsse verschwinden zwar, wenn sie der Vater
Äther zum Mutterschoße der Erde befruchtend hinabschickt,
Aber emporsteigt schimmernd die Frucht, und das Laub an den Bäumen
Grünt, und sie wachsen empor, bald senkt sich der Ast vor den Früchten.
Hiervon nähren sich wieder der Menschen und Tiere Geschlechter,
Hiervon sehen wir fröhlich die Kinder gedeihn in den Städten,
Und in dem Laubwald hört man der jungen Vögel Gezwitscher,
Hiervon strecken ermüdet die feisten, gemästeten Rinder
Nieder den Leib in das üppige Gras und aus strotzenden Eutern
Fließt ihr schneeweiß milchiger Saft. Hier trinkt nun das Jungvieh,
Und von der Milch wie berauscht, die den zarten Kälbchen zu Kopf steigt,
Spielen sie schwankenden Schrittes wie toll durch das sprossende Gras hin.
Also von dem, was man sieht, geht nichts vollständig zugrunde.
Denn die Natur schafft eins aus dem andern und duldet kein Werden,
Wenn nicht des einen Geburt mit dem Tode des andern verknüpft wird.
Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 35-36.
Elemente und Moleküle bleiben erhalten. Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ew’ge Unterhaltung, hat Goethe das im FAUST II genannt.
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