Auch die koptischen Christen praktizieren die Verstümmelung. Ursprünglich handelt es sich offenbar um ein alte Tradition im Orient bzw. Afrika, wo der Übergriff auf Frauen, wie auch heute noch, Normalfall ist. Schwangerschaften durch Fremde sollen so verhindert werden. Der Islam nahm viele orientalischen Traditionen auf, stärker oder schwächer, so teilweise auch diese Verstümmelungstradition. In den meisten Nahostländern ist sie gesetzlich verboten. Es gilt aber Stammesrecht. Der IS befahl im Irak ausnahmslos die Verstümmelung.
"Genitalverstümmelung in Ägypten
Mühsamer Kampf um Aufklärung
Astrid Frefel, Kairo 20.11.2014, NZZ
Auch viele Frauen wollen mit der unseligen Tradition nicht brechen.
Ein Gericht in Ägypten hat einen Arzt und einen Vater freigesprochen, nachdem ein 13-jähriges Mädchen bei seiner Beschneidung gestorben war. Der Prozess wirft erneut ein Licht auf die Praxis der Genitalverstümmelung.
Umm Khaled ist verunsichert. Die 45-jährige Mutter zweier Mädchen aus einem einfachen Kairoer Stadtviertel hat ihre ältere Tochter vor fünf Jahren beschneiden lassen. Die jüngere ist jetzt 11 Jahre alt, und Umm Khaled ist hin und her gerissen: Soll sie dem Druck der Familie nachgeben, oder soll sie dieses Mal auf die brutale Prozedur verzichten? Ihre gutsituierte Arbeitgeberin hat ihr von den medizinischen Gefahren erzählt, aber die Mutter ist skeptisch. Am ehesten überzeugt sie noch das Argument, dass immer mehr junge Männer in Ägypten unbeschnittene Frauen bevorzugten, die auch Lust am Sex hätten. Ihre Töchter gut zu verheiraten, ist schliesslich Umm Khaleds wichtigstes Anliegen.
Novum für die Justiz
Beschneidung ist ein heikles Thema und immer noch ein Tabu, über das viele Ägypterinnen nur ungern reden. Das Land der Pharaonen gehört weltweit zu den Ländern, in denen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien – auch bekannt als FGM (Female Genital Mutilation) – am meisten verbreitetet ist. Ein Gerichtsprozess wirft jetzt erneut ein Licht auf die Praxis, die seit 2008 eigentlich gesetzlich verboten ist. Ein Gericht in der Stadt Mansur im Nildelta hatte gegen einen Arzt und einen Vater verhandelt, dessen 13-jährige Tochter Sohair im Juni 2013 nach einer Operation ums Leben kam. Es war das erste Mal, dass sich die ägyptische Justiz mit dem Thema befasste. Allerdings sprachen die Richter die Angeklagten am Donnerstag in allen Punkten – darunter der Durchführung einer FGM und der Gefährdung eines Kindes – frei und erklärten, die Strafsache sei nach einem Ausgleich erledigt. Der Arzt wurde angewiesen, der Mutter als Klägerin eine Kompensation von 7000 Pfund (rund 670 Franken) zu zahlen. Der Anwalt legte Berufung gegen das Urteil ein.
Frauenrechtlerinnen erhoffen sich von der Aufmerksamkeit um den Fall einen neuen Schub für ihren Kampf gegen die Genitalverstümmelung. In den politischen Wirren seit der Revolution von 2011 geriet das Thema in den Hintergrund. Auch führten die vielen Regierungswechsel dazu, dass statistische Erhebungen nicht durchgeführt werden konnten. Die letzten Daten stammen aus dem Jahr 2008 und machen es schwer, die Erfolge der Anti-FGM-Kampagnen abzuschätzen. Nach diesen Zahlen des Gesundheitsministeriums waren 91 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. In der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen war der Anteil der beschnittenen Mädchen zwischen 2005 und 2008 um 15 auf 74 Prozent gesunken; ein Beweis dafür, dass ein langsames Umdenken stattfindet.
Kulturelles Phänomen
Eine entscheidende Rolle spielen das Bildungsniveau sowie das grosse Gefälle zwischen Stadt und Land. Mit der Religion hat die FGM nichts zu tun, sie ist ein kulturelles Phänomen und wird in Ägypten gleichermassen von Christen und Muslimen praktiziert. In den arabischen Nachbarländern ist sie praktisch unbekannt. Dennoch hatte sich die Al-Azhar-Universität, die wichtigste Autorität des sunnitischen Islam, erst 2013 dazu durchringen können, ein explizites Verbot auszusprechen. Zuvor wurde der Brauch lediglich als schädlich und «nicht notwendig» deklariert. Während der Regierungszeit der Islamisten strebte die salafistische Al-Nur-Partei 2012 sogar ein Gesetz zur Legalisierung von Genitalverstümmelung an.
Auch wenn Ägyptens Medien selten darüber berichten, geht die mühsame Aufklärungsarbeit von Anti-FGM-Organisationen weiter: In einem Programm mit dem Namen «FGM-freies Dorf» werden die Dorfältesten, religiöse Würdenträger und Hebammen darin geschult, gegen die Praxis zu argumentieren. Auch tourte eine Theatergruppe durch Oberägypten und das Nildelta; auf der Bühne spielten sie jene Szenen nach, die sich in vielen Familien ereignen, die über die Beschneidung streiten. Dabei, so fanden die Theatermacher heraus, seien oft eher die Mütter zum Umdenken bereit, während die Grossmütter auf der Tradition beharrten.
Die Verfechter und Verfechterinnen der Genitalverstümmelung sind überzeugt, sie sei notwendig, um die Keuschheit der Frauen zu schützen, indem das sexuelle Verlangen unterdrückt wird. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet vier Methoden von FGM danach, wie viel von den äusseren weiblichen Geschlechtsorganen entfernt wird. In Ägypten sind die schlimmeren Formen am weitesten verbreitet."
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