"Aufklärung als Ersetzung der Religion durch Moral: Michel de Certeaus Deutung Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2008, LORENZ JÄGER
Wie die Frömmigkeit privat wurde
… Nun hat die Zeitschrift des Frankfurter Zentrums zur Erforschung der Frühen Neuzeit ihm ein ganzes Doppelheft gewidmet (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit, Jg. 12, Heft 1/2. Lire Michel de Certeau/Michel de Certau lesen. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt 2008).
Man findet darin einen gewichtigen und ungemein reichhaltigen Beitrag des Denkers, der in Frankreich schon vor mehr als dreißig Jahren erschien und nun erstmals auf Deutsch vorliegt (Die Förmlichkeit der Praktiken. Vom religiösen System zur Aufklärungsethik: 17. bis 18. Jahrhundert). … die Aushöhlung der Offenbarung durch Moral.
Den Endpunkt des Prozesses lokalisiert de Certeau in der bündigen Formulierung aus einem Brief Rousseaus an Voltaire: "Das Dogma ist nichts, die Moral ist alles." … Die Rede von den "Werten", die wie kaum etwas anderes für die Gegenwartsgesellschaften bezeichnend ist, hat hier ihren Ursprung.
… Die Fassaden der Religion blieben erhalten, aber ihre Institutionen wurden von der Staatsräson "unterwandert", wie de Certeau schreibt. In der Erziehung traten bürgerliche Tugenden in den Vordergrund, die Religion wurde zur "Frömmigkeit" privatisiert und verinnerlicht. "Heiliges Leben" modellierte fortan ",subjektive' und ,psychologische' Laufbahnen, die sich nicht mehr auf dem Spielbrett einer zivilen oder politischen Ordnung abspielen".
…“
Interessanter Gesichtspunkt, der das auffällige Interesse einiger Aufklärer an Moral erklären kann. Kant hat diesem Aspekt eine ganze Kritik gewidmet, die „Kritik der praktischen Vernunft“, eine saure Pflichtethik.
Die Subjektivierung der Moral und Wendung nach innen entkleidet die Religion ihrer aggressivsten Züge. Die mohammedanische Ideologie kennt eine solche Entwicklung nicht und gehört schon deswegen nicht nach Europa.
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