Die Gefühle - grob gesagt - sind Melde- und Bewertungsinstanz, und daß sich ein solches System weit vor dem Menschen entwickelt hat, leuchtet ein. Auch, daß es alle anderen Systeme dominiert und beeinflußt. Natürlich schließen kulturelle Phänomene an sie an, sie entwickeln sich nicht im luftleeren Raum. Aber bei der Tätigkeit der Großhirnrinde wird es schwieriger, wie hier bei Benn im Gedicht von 1936 “Einsamer nie” ausgedrückt:
...
Die Seen hell, die Himmel weich,
die Äcker rein und glänzen leise,
doch wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus dem von dir vertretenen Reich?
Wo alles sich durch Glück beweist
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge −:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
und tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im Weingeruch, im Rausch der Dinge −:
dienst du dem Gegenglück, dem Geist.
Dieses Thema hat Benn lebenslang beschäftigt, besonders den jungen Mann. Die Großhirnrinde beeinflußt die Parameter der Gefühlsbewertung. Aus Einsamkeit und geistiger Tätigkeit kann eine gewisse Lust entspringen, wie auch aus Verzicht und dem Lauschen von trauriger Musik. Das war besonders in der Romantik ein Hauptmotiv: “Horch, es klagt die Flöte wieder”, heißt es in Brentanos “Abendständchen”. Die Großhirnrinde vermag mit den Bewertungspolen zu spielen und sie umzukehren. Läßt sich da nicht behaupten, daß die Großhirnrinde - zumindest im individellen Fall - große Möglichkeiten besitzt und den Körper zur Askese zwingen kann? Wie überhaupt eine reflektierte geistige Elite hergebrachte Muster modifizieren und die kulturelle Sphäre ändern kann. Eine solche recht tiefgreifende Änderung reflektiert das pompejanische Fresko des Bäckerpaares Neo, das eine arbeitsteilige Gleichberechtigung zeigt, die in Griechenland nicht existierte, noch viel weniger in Asien.
Damasio spart dieses Thema - bei dem es erst spannend wird - vielleicht für sein nächstes Buch aus. Es könnte dann den Titel tragen “Süße Melancholie”.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen