Programmatisch mit Vater: Joachim Fest
“Ja ich denke oft jetzt schon, da ich selber alt zu werden beginne, mit einer Gattung Vorfreude auf jene Zeit hinab, in der mein Enkel oder Urenkel unter meinen Spuren herum gehen wird, die ich jetzt mit so vieler Liebe gründe, als müßten sie für die Ewigkeit dauern, und die dann doch, wenn sie an den Enkel gerathen sind, erstorben und aus der Zeit gekommen sein werden. Das hastige Bauen des Greises, die Störrigkeit auf seine Satzungen zu halten, und die Gierde auf den Nachruhm zu lauschen sind doch nur der dunkle ermattende Trieb des alten Herzens, das so süße Leben noch über das Grab hinaus zu verlängern. Aber er verlängert es nicht; denn so wie er die ausgebleichten geschmacklosen Dinge seiner Vorgänger belächelt und geändert hatte, so wird es auch der Enkel thun, nur mit dem traurig süßen Gefühle, mit dem man jede vergehende Zeit ansieht, wird er noch die Andenken eine Weile behalten und beschauen. Diese Dinge empfindend erschien es mir nicht zwecklos, den Spruch des Egesippus an die Spitze eines Gedenkbuches zu stellen, das von meinem Urgroßvater und seiner Mappe handelt. Ich will die Erzählung von ihm beginnen.”
Stifter, Adalbert. Die Mappe meines Urgroßvaters (German Edition) (Kindle-Positionen25-34). Kindle-Version.
Ich habe den Stifter nie gelesen und beginne erst jetzt damit in ganz kleinen Stücken. In meiner Jugend las man den kleinkarierten Böll, den verschwätzten linken Grass und den auch heute noch schreibenden Walser (u.a.) Nur Walser hat sich schreibend entwickelt und seine SPD- und DKP-Phase überwunden. Nach der Hitler-Katastrophe war die Jugend in Gärung und ein wohlwollender Blick auf die Großväter- und Vätergeneration schwer möglich, wenn sie nicht auf festem Grund stand wie in der Familie Fest. Der FAZ-Herausgeber und Feuilleton-Chef Fest wollte den Riß zwischen den Generationen heilen, was ihm aber nicht sehr weitgehend gelang.
Stifter, Jahrgang 1805, kannte solche Probleme nicht, seine Vatergeneration hatte auf der richtigen Seite gestanden und den Besatzer und Diktator Napoleon aus den deutschen Ländern erfolgreich vertrieben und den Jungen eine stabile Friedenszeit errungen, unterbrochen nur durch die Verfassungsaufstände von 1848. Stifter soll sich - wie Wagner - daran beteiligt haben, doch war diese politische Phase von nur kurzer Dauer. Stifter sieht sich in der Generationenabfolge, er reiht sich ein in den Zeitenfluß als einer der weiß, daß die nächste Generation wie alle anderen vorher auch eine etwas andere Sichtweise besitzen wird. Stifter fühlt sich aufgehoben in dieser Reihe “mit dem traurig süßen Gefühle, mit dem man jede vergehende Zeit ansieht”. Das ist eine anthropologische Ebene, der sich jeder versichern sollte, will er Distanz zu den Aufgeregtheiten, Marotten und Albernheiten der Gegenwart halten.
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