Ralf Dahrendorf, Versuchungen der Unfreiheit: Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung (Beck'sche Reihe), 2008; auch als Hörbuch bei Audible
Ralf Dahrendorf, Soziologe und zeitweise Politiker, fragt in diesem Buch nach dem Versagen oder der Standhaftigkeit der öffentlichen Intellektuellen gegenüber den Versuchungen des Totalitarismus. Das ist doppelt interessant, liefert er doch einen Überblick über Personen der Zeitgeschichte und versucht zu ergründen, worin freiheitliches Denken in einer Person gründet. Letzteres scheitert, denn das ist wohl eher eine psychologische Frage, aber um so ergiebiger ist die Durchmusterung der Figuren mit dem Schwerpunkt auf die Jahrgänge vom Anfang des 20. Jahrhunderts von Adorno bis zum Ehepaar Bea. und Sidney Webb. Sein Idealbild leitet er von Erasmus von Rotterdam ab, entsprechend nennt er die Versuchungsfesten die Erasmier. Selbst ein protestantischer Reformer und Anreger enthielt sich Erasmus doch der Brutalität und des Fanatismus eines Luthers. Er blieb mehr Beobachter als Handelnder, was natürlich immer hilft; wer handelt, trägt ein größeres Risiko des Abgleitens in den Sumpf der Glaubenskämpfe. Aber warum ließen sich so viele Intellektuelle vor den Karren Stalins und Hitlers spannen? Der Historiker Hobsbawn - den Dahrendorf nicht erwähnt - hielt bis an sein Lebensende 2012 an der Rechtfertigung Stalins fest, so wie Jan Myrdal an seinem Lob Pol Pots.
Das läßt insgesamt an der Verstehenskraft der öffentlichen Intellektuellen zweifeln, und so bleiben ihrer nur wenige bei Dahrendorf: Isaiah Berlin, Jeanne Hersch, Karl Popper und Raymond Aron. Eine bittere Lektion. Auch, wenn man noch ein paar Namen hinzufügen könnte, den von Friedrich A. von Hayeks zum Beispiel, Jahrgang 1899. Viel zu viele glaubten den Versprechungen von einer besseren Zukunft. Norberto Bobbio, den italienischen Rechtsphilosphen und Politologen, zählt Dahrendorf ebenfalls zu den Erasmiern, mit Einschränkungen, obwohl Bobbio, wie Dahrendorf einräumt, Mao bewunderte - immerhin also einen der allergrößten Politverbrecher der bisherigen Geschichte. Da fragt sich der Leser doch, wie solide Dahrendorfs Maßstab gezimmert ist.
Heute leben wir im Westen in einer guten Gegenwart. Noch. Doch der grüne Totalitarismus baut sich auf mit Drohungen der Weltgefährdung und verspricht eine neue Naturreligion, die zu erreichen das große Ziel und die moralische Verpflichtung aller sei.
Die öffentlichen Intellektuellen spielen fast alle wieder mit.
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