Ein Überblicksvortrag, der manches offen und auch manches zu wünschen übrig läßt. Legitim ist es sicher, bei Schiller und Goethe anzuknüpfen: “Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden, wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.” (Das deutsche Reich, Xenien von Schiller&Goethe) So verhält es sich allerdings überall. Zu verschieden sind die Menschen, die es in die Politik und in die Wissenschaft zieht, und man kann noch andere Bereiche in die Betrachtung einbeziehen mit dem gleichen Ergebnis. Unmittelbar anschließend an “Das deutsche Reich” findet sich die Xenie “Deutscher Nationalcharakter”: “Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.” Auch das ist den meisten weder Ziel noch Möglichkeit. Und Staatsziel ist in der Regel das Gegenteil, nämlich die Ruhigstellung und die Unterwerfung der Bürger. Nur dort, wo ein Partikularherrscher sich größere Landesteile oder gar das ganze Land unterwerfen konnte, fand auch eine frühe Entwicklung zur Nation statt. Eine trübe Dialektik. Wie aber sollten die 1000 deutschen Länder zu einer Nation werden? Wie sollte der starke konfessionelle und kulturelle Gegensatz der beiden führenden deutschen Länder, Preußen und Österreich, wie gefordert, in ein Deutschland münden? Preußens Friedrich II. verachtete die Deutschen und ihre Sprache, er verriß Goethes “Götz” als barbarisch und sprach und schrieb nur Französisch. Goethe selbst entzog sich lange der antinapoleonischen Front, obwohl er in Weimar von französischen Soldaten heimgesucht wurde. Wie das Einigungswerk zu bewerkstelligen war, wußte niemand und es blieb lange ein frommer Wunsch. Ganz unfromm vollzog sich dann aber die kleindeutsche Lösung unter der Führung Bismarcks, der sich als Preuße verstand und der nationalen Überschwang bekämpfte. Seltsame Reichsgründung 1871! Die Kriegserklärung Napoleon III. einte die vielen deutschen Länder, und die nationale Stimmung holte sich - Bismarck war dagegen - Elsaß-Lothringen zurück, das Ludwig XIV. erobert hatte. Das war von Paris stark ‘französisiert’ worden, so daß die Elsässer zwar gegen Paris, aber noch mehr gegen die deutsche Oberhoheit waren. Sie waren Franzosen geworden und Paris baute diesen Kriegsverlust zu einem großen Symboltheater und zu einem neuen Kriegsgrund aus. So ereignet sich Geschichte. In einer Platitüde formulierte Marx, daß die Menschen ihre Geschichte selber machten, aber nicht unter selbstgewählten Bedingungen. Aber viel eher gleicht der Geschichtsprozeß einem Hauen, Stechen und Stolpern mit ungewissem Ausgang, und Christopher Clarks Buchtitel “Die Schlafwandler” gibt den Moment des unbewußten Agierens gut wieder. Die Kultur läuft mit, die Wissenschaft auch, querschießend. In ganz Europa ähnlich. Maupertuis ging nach Berlin, Euler von Basel nach Petersburg, dann nach Berlin, und wieder nach Petersburg, Calvin nach Genf, Curie nach Paris, Eysenck nach London usw. Der Provinzler Heidegger hat viele Narren aus Europa nach Freiburg gelockt, aber das hat Wissenschaft und Kultur eher belastet. Ähnliches gilt für den mephistotelisch schillernden Carl Schmitt. Lichtenberg, Wilhelm Wundt, Max Weber und Thomas Mann bleiben unerwähnt. Straub übertreibt den deutschen Kulturbeitrag ein wenig.
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Ein Überblicksvortrag, der manches offen und auch manches zu wünschen übrig läßt. Legitim ist es sicher, bei Schiller und Goethe anzuknüpfen:
“Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden,
wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.” (Das deutsche Reich, Xenien von Schiller&Goethe)
So verhält es sich allerdings überall. Zu verschieden sind die Menschen, die es in die Politik und in die Wissenschaft zieht, und man kann noch andere Bereiche in die Betrachtung einbeziehen mit dem gleichen Ergebnis.
Unmittelbar anschließend an “Das deutsche Reich” findet sich die Xenie “Deutscher Nationalcharakter”:
“Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.”
Auch das ist den meisten weder Ziel noch Möglichkeit. Und Staatsziel ist in der Regel das Gegenteil, nämlich die Ruhigstellung und die Unterwerfung der Bürger. Nur dort, wo ein Partikularherrscher sich größere Landesteile oder gar das ganze Land unterwerfen konnte, fand auch eine frühe Entwicklung zur Nation statt. Eine trübe Dialektik.
Wie aber sollten die 1000 deutschen Länder zu einer Nation werden? Wie sollte der starke konfessionelle und kulturelle Gegensatz der beiden führenden deutschen Länder, Preußen und Österreich, wie gefordert, in ein Deutschland münden? Preußens Friedrich II. verachtete die Deutschen und ihre Sprache, er verriß Goethes “Götz” als barbarisch und sprach und schrieb nur Französisch. Goethe selbst entzog sich lange der antinapoleonischen Front, obwohl er in Weimar von französischen Soldaten heimgesucht wurde. Wie das Einigungswerk zu bewerkstelligen war, wußte niemand und es blieb lange ein frommer Wunsch. Ganz unfromm vollzog sich dann aber die kleindeutsche Lösung unter der Führung Bismarcks, der sich als Preuße verstand und der nationalen Überschwang bekämpfte.
Seltsame Reichsgründung 1871! Die Kriegserklärung Napoleon III. einte die vielen deutschen Länder, und die nationale Stimmung holte sich - Bismarck war dagegen - Elsaß-Lothringen zurück, das Ludwig XIV. erobert hatte. Das war von Paris stark ‘französisiert’ worden, so daß die Elsässer zwar gegen Paris, aber noch mehr gegen die deutsche Oberhoheit waren. Sie waren Franzosen geworden und Paris baute diesen Kriegsverlust zu einem großen Symboltheater und zu einem neuen Kriegsgrund aus.
So ereignet sich Geschichte. In einer Platitüde formulierte Marx, daß die Menschen ihre Geschichte selber machten, aber nicht unter selbstgewählten Bedingungen. Aber viel eher gleicht der Geschichtsprozeß einem Hauen, Stechen und Stolpern mit ungewissem Ausgang, und Christopher Clarks Buchtitel “Die Schlafwandler” gibt den Moment des unbewußten Agierens gut wieder. Die Kultur läuft mit, die Wissenschaft auch, querschießend. In ganz Europa ähnlich. Maupertuis ging nach Berlin, Euler von Basel nach Petersburg, dann nach Berlin, und wieder nach Petersburg, Calvin nach Genf, Curie nach Paris, Eysenck nach London usw. Der Provinzler Heidegger hat viele Narren aus Europa nach Freiburg gelockt, aber das hat Wissenschaft und Kultur eher belastet. Ähnliches gilt für den mephistotelisch schillernden Carl Schmitt. Lichtenberg, Wilhelm Wundt, Max Weber und Thomas Mann bleiben unerwähnt. Straub übertreibt den deutschen Kulturbeitrag ein wenig.
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