22. März 2008, Neue Zürcher Zeitung
Das Fed als Brandstifter und als Feuerwehr
G. S.
Seit sich in der zweiten Augusthälfte letzten Jahres die Turbulenzen an den Hypothekar- und Finanzmärkten immer offensichtlicher zur Krise auswuchsen, ist praktisch keine Woche vergangen, in der sich die Situation nicht weiter verschlimmert hätte. Abschreibungen führender Banken in Milliardenhöhe, grosse Kursverluste an den Aktienbörsen, hohe Rohstoffnotierungen, ein steigender Goldpreis, ein Dollar auf der schiefen Ebene, ständig weiter in den Keller rutschende Immobilienbewertungen, bankrotte Hedge-Funds, ein ausgetrockneter Interbankenmarkt, die Erosion des Vertrauens der Finanzinstitute und der Investoren oder eine aggressive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, des Fed, zeichnen ein ausgesprochen tristes Bild des Finanzsystems. Die schlimmsten dieser Entwicklungen bleiben zwar weitgehend auf die USA beschränkt, doch vieles betrifft die ganze Welt. Und vorerst sieht niemand bereits das Licht am Ende des Tunnels.
Der Fluch niedriger Zinsen
Solche Krisen sind nicht der Zeitpunkt für ordnungspolitische Grundsatzdebatten. Im Moment geht es für die betroffenen Volkswirtschaften vielmehr darum, sich mit Klugheit und Pragmatismus aus einem reissenden Strudel zu befreien, ohne freilich den marktwirtschaftlichen Kompass aus dem Auge zu verlieren. Gleichwohl stellen zurzeit nicht nur Marktkritiker, sondern auch liberale Köpfe die Frage, ob denn in der Krise der sonst skeptisch beäugte Staat plötzlich doch willkommen, ja sogar nötig sei, um Schlimmstes zu verhindern. Und mit fast triumphierender Häme macht das Schlagwort von der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste die Runde. Gemeint ist damit vor allem, dass die grosszügige Geldversorgung durch das Fed und andere Massnahmen verhindern könnten, dass die Banken und ihre Eigentümer die Konsequenzen ihrer Fehlentscheide voll zu tragen haben.
Doch abgesehen davon, dass das Fed die Aktionäre von Bear Stearns sehr wohl zur Kasse gebeten hat und auch sonst versucht, ökonomische Fehler nicht ungestraft durchgehen zu lassen, übersieht man leicht, dass die gegenwärtige Krise weitestgehend eine Folge staatlicher Politik, nämlich der viel zu grosszügigen Geldpolitik der letzten Jahre, ist. Man kann die Anfänge der Subprime-Krise sogar noch weiter zurück, in die nie ganz bereinigten Übertreibungen des New-Economy-Booms, datieren. Das Streben nach hohen Renditen, das – durchaus rationale – Herdenverhalten der Marktteilnehmer, die Unvorsichtigkeiten der Investoren und der Banken wurden durch ein von Alan Greenspan und Ben Bernanke viel zu grosszügig geschneidertes Geldkleid ermöglicht, ja geradezu initiiert.
Die sogenannte Österreichische Konjunkturtheorie moniert zu Recht, dass auf diese Weise der Konsum angeheizt und das Sparen unattraktiv wird, dass Investitionen weit über die Ersparnisse hinaus getätigt werden und es zu ausgeprägten Fehlinvestitionen kommt. Es ist also nicht so, dass die Immobilien- und Kreditblase ohne Zutun des Staates entstanden wäre und nun der rettende Staat die Folgen des Berstens der Blase auffangen müsste, sondern es war im Gegenteil das gleiche Fed, das mit seiner monetären Grosszügigkeit «gezünselt» hat und nun als Feuerwehr auftritt, um zu verhindern, dass daraus ein veritabler Flächenbrand wird. Ohne geldpolitische Fehler hätte es kaum Blasen gegeben.
Drohender Systemkollaps
Allerdings geht die staatliche Intervention in den USA über die Zinssenkungspolitik hinaus. Von fiskalischer Konjunkturankurbelung bis zur Hereinnahme schlechter Risiken durch das Fed wird alles unternommen, um den Teufelskreis in Richtung Depression zu brechen. Von der grössten Rezession der letzten 25 Jahre, ja gar von der schwersten Krise seit 1929 ist verschiedentlich die Rede. Sie einfach aussitzen zu wollen, wie das Anhänger der Österreichischen Schule fordern, wäre geradezu unverantwortlich. Wenn Blasen platzen, tun sie es mit einem Knall. Die Reaktionen sind heftig, die Preisanpassungen schiessen weit über das Ziel hinaus. Käufer wie Investoren streiken, und die Banken müssen in ihren Büchern ständig Wertberichtigungen – unter Umständen bis weit unter den «inneren» Wert der Anlagen hinab – vornehmen. Selbst gesunde Banken können so in den Ruin getrieben werden. Und die unvermeidliche Zurückhaltung bei der Kreditvergabe steckt mit der Zeit selbst die robusteste Realwirtschaft ebenfalls an.
Die Folge ist nicht ein heilsamer Strukturwandel, sondern eine Krise, die viel tiefer geht, breiter greift und länger dauert, als wenn man die Über- und Kettenreaktionen rechtzeitig zu brechen weiss. Würden grosse Banken bankrottgehen oder gar das ganze Finanzsystem weitgehend kollabieren, wären übrigens alle Bürger und Steuerzahler die Leidtragenden. Es liegt daher im Interesse aller, dass dies nicht passiert. Wer behauptet, die breite Masse müsse nun die Folgen der Krise schultern, während einige wenige vom Boom profitiert hätten, verdrängt, dass fast alle als Anleger, Pensionskassenversicherte, Angestellte im Finanzsektor (und weit darüber hinaus) oder Hausbesitzer von der vorhergehenden Blase profitiert haben. Vorläufig schmelzen nur die Gewinne der letzten Jahre wieder ab; ohne Eingreifen käme es dagegen zu noch weit gravierenderen Einkommens- und Vermögensfolgen.
Gravierende Nebenwirkungen
Doch die Interventionen haben einen sehr hohen Preis. Sie tragen nämlich – wie die meisten Eingriffe in das Marktgeschehen – den Keim neuer Krisen in sich. Die fast frivol lockere Geldpolitik wird mit grösster Wahrscheinlichkeit innert zwei oder drei Jahren nicht nur zu einer Inflation der Konsumentenpreise führen, sondern auch zu einer neuen Blase, also einer Aufblähung der Preise von Vermögenswerten wie Aktien oder Immobilien. Die Massnahmen senden zudem das Signal aus, dass man als Investor, Sparer, Konsument, Kreditnehmer oder Gläubiger zumindest teilweise gerettet wird, wenn man unvernünftig handelt. Das führt dazu, dass man das nächste Mal die gleichen Dummheiten wieder begeht. Das konzertierte Gegensteuern lässt sich daher nur rechtfertigen, wenn man mit ihm irreparablen Schaden verhüten kann.
Das ist klar der Fall. Will man im jetzigen Stadium der Krise verhindern, dass weitgehend Unbeteiligte massiv zu Schaden kommen, muss man in Kauf nehmen, dass die unverantwortlichen Gläubiger und die unvorsichtigen Schuldner teilweise ungeschoren davonkommen und dass alle – vor allem via Geldentwertung – einen Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsystems leisten. Es gibt dazu kurzfristig keine Alternative. Das Fed könnte aber die schlimmsten Folgen der jetzigen Politik verhindern, wenn es bereit wäre, einige Lehren aus der Krise zu ziehen. So sollte es endlich einen Anstieg der Vermögenspreise nicht nur als Treiber der Konjunktur und der Konsumentenpreise betrachten, sondern als Warnsignal für das Entstehen einer Blase. Und es sollte den Mut haben, die Geldpolitik nicht erst zu straffen, wenn die Konjunktur zu überschiessen droht, sondern lange davor. Leider spricht alle Erfahrung dagegen, dass dies gelingen wird, und zwar nicht so sehr, weil das Fed den richtigen Zeitpunkt nicht erkennen würde, sondern schlicht und einfach, weil der politische Druck des Staates und der Öffentlichkeit fast immer nur in eine Richtung zielt, Richtung Expansion, und damit – immer wieder – Richtung Zügellosigkeit.
// Ein sehr gescheiter Kommentar - aber die Rolle der jahrzehntelangen japanischen 0-Zinspolitik wird nicht angesprochen. Wie kann die Fed die Zinsen erhöhen, wenn sich institutionelle Anleger im Yen verschulden?
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