- Suche nach Schuldigen. Von Claus Tigges
Amerika sucht nach den Schuldigen für die Krise auf dem Häusermarkt. Das ist notwendig, damit Vorkehrungen getroffen werden können, um ähnliche Debakel künftig zu vermeiden. Ganz einfach ist das freilich nicht. Viele haben dazu beigetragen, dass auf dem Immobilien- und dem Hypothekenmarkt die Blase entstanden ist, die nun das Finanzsystem ins Wanken bringt. Hypothekenbanken und -vermittler sind ebenso beteiligt wie Ratingagenturen, Investmentbanken und Hedge-Fonds, die Risiken nicht erkannt und Wertpapiere gekauft haben, deren komplizierte Strukturen sie nicht durchschauten. Fahrlässig haben aber auch viele Hauskäufer gehandelt, die sich auf Finanzierungen einließen, deren hohes Risiko mit gesundem Menschenverstand zu erkennen gewesen wäre. Die amerikanische Finanzaufsicht ist zersplittert. Eine Neuordnung kann Verbesserungen bringen. Wenn Investmentbanken ähnlichen Zugang zu Krediten der Notenbank erhalten wie Geschäftsbanken, muss auch die Aufsicht ähnlich geregelt sein. Finanzminister Henry Paulson aber hat recht, wenn er davor warnt, über das Ziel hinauszuschießen. Ein Übermaß an Regulierung beeinträchtigt die Effizienz der Finanzmärkte.
Text: F.A.Z., 25.03.2008, Nr. 70 / Seite 13
- Beck-Office: Panik in Springfield
In einer Episode der amerikanischen Fernsehserie "Die Simpsons" ist dem zehnjährigen Bart Simpson langweilig. Also geht er in eine Bank und ruft hinter dem Rücken der Kunden Sätze wie "Sie haben kein Geld mehr?" und "Was heißt das, meine Ersparnisse sind weg?" Die Wirkung dieses Bubenstreiches ist verheerend: Die Kunden glauben, dass die Bank pleite ist, und stürmen panisch die Schalter, um ihre Ersparnisse abzuheben.
Ganz schön viel Ökonomie für einen Zehnjährigen: Bart hat erkannt, dass eine Bank davon lebt, dass sie die Einlagen ihrer Kunden an andere Kunden verleiht und dass dies nur funktioniert, wenn nicht alle Kunden ihr Geld zum gleichen Zeitpunkt zurückfordern. In dem Moment, in dem dies geschieht, stellt sich heraus, dass die Bank das von den Kunden eingezahlte Geld nicht im Keller gebunkert hat; das kann sie nur verbergen, wenn sich Einzahlungen und Auszahlungen langfristig die Waage halten.
Das Dumme an einer solchen Bankenpanik ist, dass sie sich verhindern ließe, wenn alle Kunden die Ruhe bewahren und ihr Geld auf der Bank lassen würden. Doch der Anreiz, die Schalter zu stürmen, ist groß: Wer als Erster vor den anderen Kunden am Schalter ist, kann seine Ersparnisse retten, solange die Bank noch Geld hat - also ist es für den Einzelnen rational, an den Schalter zu spurten und sein Geld zurückzufordern. Tun das alle, klappt die Bank zusammen. Das ist wie bei einem Feuer in einem Kino: Wer zuerst am Ausgang ist, hat größere Chancen zu überleben. Wenn aber alle Besucher diesem Kalkül folgen, trampeln sich die Flüchtenden an den Ausgängen tot.
Diese Überlegungen zeigen, wie anfällig ein Bankensystem ist und wie wichtig das Vertrauen der Kunden in ihre Bank ist. Und sie erklären, warum die Notenbanken so viel Angst davor haben, dass eine Bank ins Schleudern gerät, und massiv Geld ins Bankensystem pumpen. Ganz schön beunruhigend: Es reichen gelangweilte Zehnjährige, um unser Bankensystem wackeln zu lassen. HANNO BECK
Text: F.A.Z., 25.03.2008, Nr. 70 / Seite 28
- Europlatz Frankfurt
Die festgefahrene Finanzkrise
Von Ulrich Kater
An der Anzahl der Rekorde gemessen, sind die Finanzmärkte schon in Olympialaune. Allerdings sind es Negativrekorde: Der Dollar tauchte zwischenzeitlich immer tiefer ab, das Gold eilt von einem Höchststand zum nächsten, und neuerdings wird auch der Rohölpreis eher von Finanzströmen als von der physischen Nachfrage bestimmt. Die Kurse von Staatsanleihen steigen, amerikanische Renditen im Zweijahresbereich sind auf rekordverdächtige Niveaus gesunken.
Die Bewegungen sind ein Abbild der Verspannungen an den Finanzmärkten: der Auflösung unangemessen aufgeblähter Kreditverhältnisse, des Wertverlusts der dazugehörenden Aktiva, der Vernichtung von Eigenkapital durch eine an den aktuellen Marktpreisen orientierte Bilanzierung und daraus eines in der Breite und Dauer nie dagewesenen Vertrauensverlusts der Banken untereinander.
Die Realwirtschaft erwies sich bislang noch als robust. In den vergangenen Monaten existierte eine Dichotomie der Wahrnehmung in Industrie- und Finanzsektor. Selbst als deutlich wurde, dass sich die Dynamik in der amerikanischen Wirtschaft auf die Nulllinie zurückgezogen hatte, war die Bremswirkung weltwirtschaftlich betrachtet als moderat zu bezeichnen. Die amerikanische Notenbank stemmt sich mit Kraft gegen die drohende Implosion des Finanzsystems, zuletzt wieder in der vergangenen Woche mit einem ebenfalls rekordverdächtigen Schritt über 75 Basispunkte sowie mit der Rettungsaktion für das fünftgrößte amerikanische Investmenthaus.
Die Zinsschritte der Fed kommen nicht an? Stimmt nicht. Sie haben in der Vergangenheit an den Finanzmärkten durchaus vertrauensstärkende Effekte gehabt und helfen vielen privaten Haushalten, deren variabel verzinsliche Schulden nun nicht mehr ganz so teuer sind. Aber ob die Wirkungen der bisherigen Zinssenkungen und der noch folgenden sowie der Liquiditätsspritzen ausreichen, um die Abwärtsspirale von sinkenden Werten bei strukturierten Kreditprodukten und Abschreibungen zu durchbrechen, werden erst die kommenden Monate zeigen. Inzwischen wird aus dem Liquiditätsproblem mehr und mehr ein Solvenzproblem.
Die Finanzmarktkrise wird uns das ganze Jahr über beschäftigen. Die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems steht zwar außer Frage. Fraglich sind nur die hierfür notwendigen Maßnahmen. Wesentlich bleibt, dass Verluste so weit wie möglich dort getragen werden sollten, wo sie entstanden sind, und nur dort, wo die systemischen Gefahren zu groß werden, als Ultima Ratio in Gemeinschaftsanstrengung von Notenbanken, Aufsichtsbehörden, Politik und Finanzbranche bewältigt werden.
Und die Konjunktur? Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Finanzkrise zu lange dauern wird, um nicht in allen beteiligten Volkswirtschaften deutliche Bremswirkungen zu verursachen. Das japanische Beispiel zeigt, was geschieht, wenn man die finanzwirtschaftlichen Probleme nicht entschieden genug angeht. In Umkehrung des olympischen Mottos möchte man hier nicht dabei sein.
Der Autor ist Chefvolkswirt der Deka-Bank.
Text: F.A.Z., 25.03.2008, Nr. 70 / Seite 28
- "Wirtschaft kritisiert Linksrutsch. km. BERLIN, 24. März. In der Wirtschaft wächst der Unmut über die Bundesregierung, weil sie Reformen revidiert habe und schon jetzt Wahlgeschenke verteile. "Leider schielen SPD und Union viel zu sehr auf kurzfristige Stimmungen bei Wählerumfragen", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun. "Schon 18 Monate vor der Wahl ist offenbar kein Wahlgeschenk zu teuer." Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt griff Union und SPD ebenfalls scharf an: "Beide Koalitionsparteien sind nach den Wahlerfolgen der Linkspartei nach links gerutscht." Hundt bezeichnete es als fatal, dass die große Koalition "Reformen zurückdrehe". Als Beispiel nannte er die geplante Rentenerhöhung, mit der die Regierung ihre eigene Politik konterkariere. Die vorgesehene Steigerung um 1,1 Prozent belaste die Rentenkassen stärker, als sie durch die Rente mit 67 entlastet würden. Damit rücke das Ziel, die Beitragssätze zur Sozialversicherung dauerhaft unter 40 Prozent zu senken, in weite Ferne. Der Arbeitgeberpräsident äußerte sich zudem enttäuscht darüber, dass die große Koalition das Thema Mindestlohn weiterverfolge. Ein flächendeckender Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze. Auch Handwerkspräsident Otto Kentzler mahnte: "Die Retro-Politik sollte man den sozialistischen Nostalgikern der Linken überlassen."
Text: F.A.Z., 25.03.2008, Nr. 70 / Seite 15
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