Samstag, 21. Juni 2008
Ölmarkt, Aktienmärkte
Der Sommer bleibt kühl, morgens 13°, regnerisch. Zwei der drei Nistkästen waren besetzt, Blaumeise und Kohlmeise; der dritte hat ein größeres Einflugloch, den Meisen offenbar zu groß, den Amseln wohl zu klein.
Kaum spekulatives Geld im Ölmarkt
Die Ölmarktteilnehmer rätseln, mit welch weiterer Überraschung Saudi-Arabien aufwarten könnte
19. Juni 2008 Die Wirtschafts- und Energieminister zahlreicher Nationen folgen an diesem Wochenende einer außergewöhnlichen Einladung des saudischen Königs Abdullah. Am Sonntag werden sich auf seine Anregung hin Vertreter der größten Öl produzierenden und Öl verbrauchenden Nationen in Dschiddah treffen, um gemeinsam über den extrem gestiegenen Ölpreis und ein weiteres, gemeinsames Vorgehen zu sprechen.
Nachdem Saudi-Arabien den Vereinten Nationen am 14. Juni eine Produktionserhöhung von 200.000 Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) am Tag angekündigt hatte, rätseln die Marktteilnehmer nun, mit welch weiterer Überraschung Saudi-Arabien aufwarten könnte. „Nur eine kräftige Produktionserhöhung von hoher Qualität von mindestens 500.000 Barrel am Tag, die sofort mit Preisabschlag an den Markt abgegeben würde, könnte zumindest zeitweilig Druck auf den Ölpreis ausüben“, meint Robin Batchelor, Managing Direktor und Fondsmanager für Energie bei Blackrock Merrill Lynch.
Ölpreis liegt seit Wochen auf Rekordhöhe
„Es kommt vielleicht sogar mehr darauf an, welche Produktionspolitik Saudi-Arabien künftig einschlagen will“, heißt es bei Barclays Capital. Die Opec-Mitglieder Iran und Libyen haben sich bereits gegen eine Produktionserhöhung ausgesprochen. In der Londoner City wird die Konferenz in Dschiddah als politische Offerte Saudi-Arabiens gegenüber dem Westen angesehen, weniger jedoch als ernsthafter Versuch, den Ölpreis deutlich zu senken. „Das kann letztlich auch nicht im Interesse der Öl produzierenden Länder sein, da sie angesichts des abwertenden Dollars über einen höheren Ölpreis eine Kompensation für den Wertverlust erhalten“, meint Batchelor.
Seit zwei Wochen liegt der Ölpreis zwischen seinem Rekord von 139,89 Dollar je Barrel und 133 Dollar. Behauptungen von Seiten der Öl produzierenden Länder, Spekulationen an den Finanzmärkten erklärten den Preisauftrieb am Ölmarkt, werden am Londoner Finanzplatz indessen zurückgewiesen. „Spekulanten verstehen die Fundamentaldaten, die eine Verdoppelung des Ölpreises seit vergangenem Jahr erklären. Die Spekulanten kommen an den Markt, weil der Ölpreis steigt, aber nicht andersherum“, betont Batchelor.
Im Gegenteil: „Die spekulativen Kaufpositionen und das Open Interest am Terminmarkt sind derzeit niedriger als vor einem Jahr“, betont Barclays Capital. Weil aber die Zahl der Spekulanten mit Kaufpositionen am Ölmarkt rückläufig sei, sinke auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Ölpreis durch Auflösung von Kaufpositionen plötzlich fallen könnte. Auch die Bewegung des Dollar erkläre den Preisanstieg nicht ausreichend, ist sich Batchelor sicher. Wenn Marktteilnehmer sich am Ölmarkt gegen Inflation oder Wertverfall des Dollar absicherten, entwickele dies eine Eigendynamik. „Wir kommen aber letztlich immer wieder auf die Fundamentaldaten von Angebot und Nachfrage zurück“, sagt der Fondsmanager.
Die Marktteilnehmer hätten erst in diesem Jahr verstanden, dass die Ölproduktion der Nicht-Opec Länder vom Jahr 2010 an sinken werde, weil sich Ölfelder zu schnell erschöpften und deren Produktion zu rapide einbreche. Über Jahre habe der Produktionsanstieg in Russland zudem die steigende Ölnachfrage Chinas aufgefangen, was jetzt aber nicht mehr der Fall sei. Wolle der Westen jedoch die Produktionskapazitäten der Welt erhöhen, könne er mit seinem Kapital in den wirklich großen Öl produzierenden Ländern wie Saudi-Arabien, Iran und Irak aus politischen Gründen nicht investieren. Die Forderung von Präsident George Bush, der Kongress solle Ölbohrungen vor Amerikas Küste erlauben, dürfte auf viele Jahre hinaus keinerlei Auswirkungen am Ölmarkt haben.
Batchelor investiert daher kräftig in Aktien Öl produzierender Unternehmen. „Der Markt bewertet die Titel, als ob ihr Gewinn immer noch von einem Ölpreis von etwa 85 Dollar abhängen würde. Hier wird es auf Dauer eine Neubewertung der Aktien am Markt geben“, ist sich Batchelor sicher. Goldman Sachs gab am Donnerstag aus ähnlichem Grund Kaufempfehlungen für russische Öl- und Gastitel heraus.
- " Nur ein Intermezzo
Vor den Aktienmärkten liegen noch drei bis vier gute Jahre
Klaus Holschuh gehört nicht zu denjenigen, die schnell wankelmütig werden. Schlechte Nachrichten nimmt der Volkswirt zwar durchaus zur Kenntnis, aber sie werfen seine durch langjährige Übung entstandenen Prognosen selten über den Haufen. Zu Holschuhs Erfahrungen gehört, dass Konjunktur, Zinsen und Aktienkurse in Amerika und Europa in der Regel einem 10 Jahre währenden Zyklus folgen. "Derzeit stecken wir in Amerika in einer wirtschaftlichen Schwächeperiode, und in Europa steht uns eine solche bevor. Aber es handelt sich nur um ein Intermezzo von rund eineinhalb Jahren. Wir sind nicht am Ende eines großen Zyklus", lautet Holschuhs Überzeugung.
Damit setzt sich die DZ Bank von anderen Banken ab. Unter vielen Analysten ist eine große Skepsis gegenüber den langfristigen Aussichten am Aktienmarkt ausgebrochen. Faktoren wie der hohe Ölpreis, die auch deshalb steigende Inflation und der hohe Euro-Wechselkurs lassen sie einen Rückgang der Unternehmensgewinne befürchten. "Die Gewinne steigen weiter. Vielleicht nicht mehr so dynamisch wie bisher. Aber wenn der Finanzsektor wieder Tritt fasst, wovon wir ausgehen, dürften die Gewinne der Dax-Gesellschaften im Jahr 2009 um bis zu 10 Prozent steigen", gibt sich Holschuh gelassen.
Anfang des Jahres war Holschuh gegen eine damals weit verbreitete Ansicht unter Bankanalysten angetreten. Er hatte prognostiziert, die amerikanische Wirtschaft werde nicht in eine Rezession abgleiten. Inzwischen ist weitgehend klar, dass Amerika tatsächlich eine Rezession vermeiden kann. "Im zweiten Halbjahr wird die Rezession in Amerika kein Thema mehr sein. Die Konjunktursignale werden immer positiver, und eine Leitzinsanhebung durch die Notenbank Fed wird von den Analysten als Zeichen wiedergewonnener Stärke begrüßt werden", bekräftigt Holschuh. Eine expansive Geld- und Fiskalpolitik, ein den Boden findender Immobilienmarkt und positive Einkaufsmanagerindizes als Frühindikator sollten ihre Wirkung entfalten. Der Dollar werde bis zum Jahresende um rund 10 Prozent aufwerten.
Europa hinkt nach Ansicht von Holschuh Amerika im Konjunkturzyklus hinterher. Trotz der Schaffung von zahlreichen Arbeitsplätzen dürften die Hoffnungen auf eine Belebung des Inlandskonsums enttäuscht werden. Wegen des teuren Öls hätten die Verbraucher reale Kaufkraftverluste. "Schließlich gibt ein Vier-Personen-Haushalt in diesem Jahr im Schnitt 2 Prozent mehr für Energie aus. Der hohe Ölpreis dämpft die Konjunkturdynamik massiv", befürchtet Holschuh. Die Europäische Zentralbank (EZB) zeige sich entschlossen, mit Zinserhöhungen einer Lohn-Preis-Spirale entgegenzuwirken. Aber die hohe Inflation im Euro-Raum sei nicht auf Lohndynamik, sondern auf die hohen Agrar- und Ölpreise zurückzuführen, die von der EZB kaum zu beeinflussen seien. "Die EZB steht ungefähr da, wo die amerikanische Fed Mitte 2006 stand, das heißt, vor Zinserhöhungen, die wegen des dämpfenden Effekts auf Inflation und auch Konjunktur womöglich bald wieder zurückgenommen werden können", sagt Holschuh. Ohnehin wirke die in der Finanzkrise gestiegene Prämie für Drei-Monats-Geld wie eine Leitzinserhöhung von 50 Basispunkten. "Anders als in Amerika in 2006 sind die Zinsen im Euro-Raum heute schon hoch", sagt Holschuh.
Am Ölmarkt erwartet Holschuh auf Dauer eine Entspannung. "Durch den expansiven Preisanstieg hat sich dort eine Blase gebildet, aber niemand weiß, wann sie platzt", meint er achselzuckend. Die Ansicht, dass viel Spekulation im Ölpreis stecke, begründet er mit den Grenzkosten der Ölproduktion, die ganz klassisch jahrelang ein guter Indikator für den Ölpreis gewesen seien. Derzeit klafft die Spanne weit auseinander: Die marginalen Produktionskosten liegen nach Angaben Holschuhs bei 70 bis 75 Dollar Dollar, während der Preis für 159 Liter Öl fast 140 Dollar beträgt.
Wegen der restriktiven Geldpolitik der EZB und des hohen Ölpreises erwartet Holschuh eine schwache Konjunktur in Europa im zweiten Halbjahr 2008 und im Gesamtjahr 2009. Dennoch rät er zum Aktienkauf. "Die Aktien im Dax haben derzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 9. Das ist Rezessionsniveau und übertrieben. So schlimm wird die Konjunkturabschwächung nicht werden", sagt Holschuh. Zudem werde ein aufwertender Dollar, ein womöglich nachgebender Ölpreis und eine sich wieder erholende Konjunktur in Amerika die Aktienkurse stützen. Vor allem Automobil- und Chemiewerte, aber auch Finanzwerte gehören zu Holschuhs Favoriten.
Als andere Banken die Dax-Prognose zurücknahmen, hat die DZ Bank vor wenigen Tagen ihr Dax-Ziel für die kommenden zwölf Monate auf 8300 Punkte hochgeschraubt. Holschuh setzt darauf, dass vom Jahr 2010 an noch eine weiterer Phase konjunkturellen Aufschwungs kommt - und mit höheren KGVs einhergeht. Hanno Mussler"
Text: F.A.Z., 20.06.2008, Nr. 142 / Seite 19
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