Mittwoch, 16. Juli 2008

Kernkraft

So sicher sind unsere Kernkraftwerke

Reinhard Müller ("Blödes Deutschland", F.A.Z. vom 7. Juli) behauptet, es gäbe gute Gründe gegen Kernkraft. Was sind, bitte, diese guten Gründe? Ist es mangelnde Sicherheit? In diesem Zusammenhang immer wieder auf den Reaktorunfall von Tschernobyl hinzuweisen ist unredlich und demagogisch. Bei dem dort verwendeten (und im Osten noch heute aktiven) Reaktortyp werden die hochenergetischen Spaltneutronen mit Hilfe von Graphit "gebremst", um die Energie der hochenergetischen Spaltneutronen abzuschöpfen und gleichzeitig niederenergetische ("langsame") Neutronen herzustellen. Nur durch Letztere lässt sich die Kettenreaktion der Kernspaltung aufrechterhalten. Die Verwendung von Graphit hat zur Folge - wie geschehen -, dass die Kettenreaktion bei einem Kühlwasserausfall bis zu einer Atomexplosion ansteigt und nukleares Material in die Luft geschleudert wird.

Bei den westlichen Kernreaktoren werden die Neutronen stattdessen mit Hilfe von Wasser gebremst, das bei Kühlwasserausfall verdampft und dadurch die Kettenreaktion automatisch unterbindet. Dies ist 1979 in Harrisburg geschehen. Trotz des gleichen Kühlwasserausfalls wie in Tschernobyl und etwa 15 technisch vermeidbarer menschlicher Fehler bleibt umstritten, ob bei diesem Unfall, neben teilweiser Kernschmelze, auch nur ein einziger Mensch zu Schaden kam. Dies demonstriert die konstruktionsbedingte Sicherheit unserer Kernkraftwerke und gilt auch für die Eingriffsmöglichkeit von Terroristen. Entgegen der Aussage des Präsidenten unseres Bundesamts für Strahlenschutz, König, wird sich bei uns sogar ein Selbstmordattentäter überlegen, ob sich der Einsatz seines Lebens angesichts der geringen Erfolgsaussichten lohnt.

Als Grund gegen Kernenergie mag angesehen werden, dass das Uran knapp wird. Dies gilt aber nur, wenn man sich den Luxus leistet, weniger als ein Prozent des im Natururan vorhandenen Materials zur Energieerzeugung zu nutzen, das heißt, weder zu brüten noch wiederaufzubereiten. Beim neuen Kernkraftwerk bei Turku planen Finnen und Schweden, die abgebrannten Brennelemente wohl zu hüten, weil sie für kommende Generationen wegen ihres nicht ausgenutzten Kernmaterials einmal sehr wertvoll sein werden.

Ein weiterer Grund ist das immer wieder vorgebrachte Argument der ungelösten Endlagerung. Es besteht kein Zweifel daran, dass auch dieses Problem rechtzeitig gelöst wird, wenn es ohne bewusste Hemmung (Verbot der Endlagerforschung) unter dem Aspekt des Wertes abgebrannter Brennelemente angegangen wird.

Es bleibt die Furcht vor Radioaktivität. Ich selbst habe mich lange mit den biologischen Wirkungen der ionisierenden Strahlung und deren Ursache beschäftigt. Alles Leben auf unserer Erde muss sich seit jeher mit diesen Strahlen auseinandersetzen und ist darauf eingestellt. Auch wir können uns ihnen nicht entziehen. Es kommt aber auf die Strahlenmenge (Dosis) an. Nur sehr große Strahlendosen können unsere Zellerneuerungssysteme gefährlich schädigen, gleichzeitig aber auch Krebs heilen und die Häufigkeit von krebsfördernden Mutationen erhöhen. Für den eigenen Schutz ist sehr wesentlich, dass man die Strahlung bis zu sehr kleinen Werten hinunter genau messen kann. Dies hat aber auch den Nachteil, dass der Laie verängstigt ist, wenn "immer noch" Strahlenwerte gemessen werden, die gar nicht mehr gefährlich sind. Diese Angst hat die Ölindustrie weidlich ausgenutzt und geschürt, weil sie schnell erkannte, dass die Kernenergie ihr einziger ernstzunehmender Konkurrent ist. So konnten die Ölkosten weitgehend ohne Konkurrenz ungehindert ansteigen.

Ein Weg aus dieser immer deutlicher werdenden Energiefalle bei gleichzeitiger Schonung der Reserven an fossiler Energie wäre, so weit möglich, alle Elektroenergie durch Kernkraftwerke (oder durch erneuerbare Energie bei positiver Energiebilanz) zu erzeugen und sich auf die Herstellung von Treibstoffen aus Stein- und Braunkohle zu besinnen, die bei uns etabliert war, bis sie 1946 durch die Alliierten verboten wurde. Im Forschungszentrum Jülich gab es bereits Ansätze zur Verwendung von Kernenergie für die Kohlehydrierung, wodurch die Kohlereserven geschont und der Kohlendioxidausstoß vermindert werden.
PROFESSOR DR. KARL-HARTMUT Von WANGENHEIM, JÜLICH
Text: F.A.Z., 14.07.2008, Nr. 162 / Seite 8
// Eine leicht erhöhte radioaktive Strahlung stimuliert das Immunsystem, Tumorerkrankungen nehmen ab. (Scheint eine Analogie zur Impfung zu sein.)

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