Montag, 12. Januar 2009

Medwedew erklärt Abkommen für „null und nichtig“, Gasstreit geht weiter, „Russland schadet sich selbst“

Topolanek für die EU und Timoschenko heute in Kiew

Gasstreit geht weiter

F.A.Z. frankfurt, 11. Januar. Der russische Präsident Medwedjew hat im Gasstreit mit der Ukraine am Sonntagabend eine zuvor geschlossene Einigung für ungültig erklärt. Die Europäische Union hatte sich mit Russland und der Ukraine über die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland geeinigt, gegen zwei Uhr früh am Sonntag war ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet worden. Grund dafür, die Verwirklichung der Vereinbarung auszusetzen, seien "für Russland nicht annehmbare Anlagen" in dem Dokument, teilte Medwedjew am Sonntagabend nach Agenturberichten mit. Demnach war von ukrainischer Seite dem ausgehandelten Dokument ein Zusatz beigefügt worden, den Moskau als "verlogen" kritisierte. In der Zusatzerklärung wurde zum Ärger Moskaus von der Ukraine bekräftigt, nie russisches Gas gestohlen zu haben. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft reagierte mit Unverständnis und teilte am Sonntagabend in Prag mit: "Aus unserer Sicht ist die Vereinbarung voll gültig." EU-Energiekommissar Piebalgs habe "klar erklärt, dass eine einseitige Erklärung der Ukraine kein Bestandteil des Abkommens ist", hieß es weiter. Der Vertrag hatte vorgesehen, gemischte Beobachterteams einzusetzen, um den russichen Vorwurf zu prüfen, in der Ukraine werde in großem Stil Transitgas gestohlen. (Siehe Seiten 4 und 10.)
Text: F.A.Z., 12.01.2009, Nr. 9 / Seite 1
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Gasstreit
„Russland schadet sich selbst“

Moskau trägt die Hauptschuld am Gaskonflikt, glaubt der russische Oppositionspolitiker Ryschkow. Der Kreml wolle sich an der Ukraine rächen – am Ende zum eigenen Schaden. Im Interview kritisiert er auch Ex-Kanzler Schröder.
Von FOCUS-Korrespondent Boris Reitschuster, Moskau

Wladimir Ryschkow ist einer der bekanntesten russischen Oppositionspolitiker. Von 1993 bis 2007 war er Duma-Abgeordneter und unter anderem Vize-Parlamentschef und Fraktionschef der Regierungspartei „Unser Haus Russland“. Der gelernte Lehrer gilt als enger Vertrauter des früheren Gazprom-Chefs und Ex-Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin.
Wladimir Ryschkow: Für mich selbst war es sehr überraschend, wie sich die Sache entwickelt hat. Denn mir scheint, dass es in Wirklichkeit gar keinen Anlass für diese ganze Krise gab. Der Kreml hätte alles friedlich lösen können, aber wollte das gar nicht.
FOCUS Online: Wie hätte die Lösung aussehen können?

Ryschkow: Die Ukraine ist in einer dramatischen Situation, ihre Wirtschaft ist am Boden, auch infolge der weltweiten Finanzkrise, die sie besonders getroffen hat. Kiew ist deshalb im Moment nicht in der Lage, seine Schulden zu bezahlen. Aber so eine Situation hatten wir auch in den 90er-Jahren oft. Da wurde das so gehandhabt, dass Moskau einfach einen Zahlungsaufschub gewährte und mit der Rückzahlung wartete, bis in der Ukraine wieder bessere Zeiten anbrachen und Kiew wieder Geld hatte. Das funktionierte gut und war für beide Seiten eine vernünftige Lösung. Vernünftiger, als bei Eiseskälte einem anderen Land einfach das Gas abzudrehen.
FOCUS Online: Aber es geht ja nicht nur um die Schulden, sondern auch um den Preis für das Gas. Warum gibt es da keine Einigung?

Ryschkow: Ich verstehe die Preispolitik Moskaus nicht. Gazprom sagt offiziell, es verlange von Kiew Marktpreise. Aber in Wirklichkeit bietet es der Ukraine mit 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter einen Preis an, der deutlich über dem liegt, was etwa Frankreich und Deutschland gezahlt haben, nämlich 400 Dollar. Und zwar im Jahr 2008. So kommt noch erschwerend hinzu, dass die Preise für Öl stark gesunken sind und somit auch der Gaspreis, der daran gekoppelt ist, stark sinkt. Es ist also bei weitem kein Marktpreis, den Moskau der Ukraine anbietet, sondern ein viel höherer Preis. Gar nicht zu reden etwa von Weißrussland, das nur einen Bruchteil zahlt.
FOCUS Online: Warum stellt Moskau Kiew solche Bedingungen?

Ryschkow: Das ist wirtschaftlich nicht nachvollziehbar und widerspricht früheren Absprachen zwischen beiden Ländern. In Wirklichkeit geht es Moskau um andere Ziele. Es handelt sich um eine politische Entscheidung. Der Kreml will, dass Präsident Viktor Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko für ihre westorientiere Außenpolitik bezahlen.
FOCUS Online: Also kein Handelsstreit, wie viele in der EU glauben?

Ryschkow: Ganz und gar nicht. So eine Interpretation ist naiv. Moskau macht mit Öl und Gas Politik. Der Kreml führt dem Westen jetzt seine Abhängigkeit vor Augen und will die Ostsee-Pipeline forcieren, die Gas aus Russland an den osteuropäischen Ländern vorbei direkt nach Deutschland bringen soll.
Ryschkow: Ganz einfach. Notwendig wäre nur, dass Moskau sich von wirtschaftlichen Interessen lenken lässt statt politischen. Dann stünde einem vernünftigen Kompromiss nichts im Wege. Es könnte etwa ein Preis ausgemacht werden, der sich an dem für Deutschland orientiert, abzüglich eines Rabatts, weil die Transportwege in die Ukraine kürzer sind. Im Gegenzug könnte die Ukraine höhere Gebühren für die Durchleitung des russischen Gases nach Westen bekommen.

FOCUS Online: Ist die Ukraine ein unschuldiges Opfer?

Ryschkow: Nein, auch die Ukraine ist mitschuldig an der Krise. Aber in einem geringeren Maß als Russland. Moskau nutzt seine Rolle als Monopolist aus und diktiert seine Bedingungen. Sie will den Ukrainern einen Preis aufzwingen, den sie nicht zahlen können und der unter normalen Marktbedingungen, wenn es Konkurrenz gäbe, nicht realistisch wäre. Ein Monopol ist gefährlich. Anderen Ländern sollte das eine Lehre sein.

FOCUS Online: Welche Folgen wird der Gaskonflikt haben?

Ryschkow: Moskau betreibt mit seinen Bodenschätzen eine aggressive und unberechenbare Politik. Langfristig schadet die heutige Führung damit Russland, denn sie untergräbt das Vertrauen in unser Land als zuverlässigen Energie-Lieferanten und stachelt die heutigen Kunden dazu an, sich nach Alternativen umzusehen.
FOCUS Online: Mitten in der Krise reiste der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu Wladimir Putin nach Petersburg und unterstützte die Position des Kremls. Wie schätzen Sie seine Rolle ein?
Ryschkow: Schröder ist für ein Unternehmen tätig, an dem Gazprom die Mehrheit hält, er wird dafür sehr gut bezahlt. Wenn ich mir seine Haltung jetzt in diesen Tagen ansehe, erinnert mich das an ein Sprichwort, das ich in der Kindheit gelernt habe: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
11.1.09

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