Sonntag, 10. Mai 2009

Buss: "Der Mörder in uns"



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- "Morden lohnt sich, flüstern die Gene.
Töten muss evolutionsbiologisch sinnvoll gewesen sein, meint David Buss. Denn warum wäre es sonst so weit verbreitet?
Reduziert man das Weltgeschehen auf das egoistische Gen, wird alles recht einfach. Was auch immer wir tun: Wir tun es, um unsere Gene weiterzugeben oder um dafür zu sorgen, dass die bereits in neuen Körpern befindlichen Gene abermals in neuen Körpern auferstehen. Das Ganze ist gut verträglich mit dem Freudschen Sexualtrieb, der überall lauert, aber vielleicht auch mit buddhistischen Gedanken des ewigen Recyclings. Nicht nur die Rituale menschlichen Balzverhaltens, die David Buss in einer früheren Arbeit beschrieben hat, sondern auch dass Frauen schlecht einparken und Männer nicht zuhören, muss - soziobiologisch gesehen - Vorteile haben, die der Fortpflanzung dienen, genauer gesagt der Weitergabe der Gene ebenjener Frauen, die am schlechtesten einparken, und der Männer, die am schlechtesten zuhören.
David Buss geht in seinem Buch "Der Mörder in uns" von der aparten These aus, dass Morden etwas evolutionsbiologisch gesehen Vernünftiges sein muss, weil es sonst nicht so verbreitet wäre - zumindest in jedermanns Bewusstsein.
Dies führt dann in der Tat zu einer Reihe von erfrischenden Einsichten, wenn Buss unbekümmert um politische Korrektheit und moralische Bedenken diverse Typen von Tötungsdelikten (Tötung der Frau, des eigenen Kindes, von Vater oder Mutter, des Rivalen) daraufhin untersucht, ob der Täter nicht ganz normale, nachvollziehbare, "gute Gründe" für sein Töten gehabt hat. Und ein "guter Grund" ist alles, was den Fortpflanzungserfolg des Täters erhöht, was also (wenn er ein Mann ist) seinen Zugang zu guten Frauen erhöht und soziale Ressourcen beschafft (welche seinen Erfolg bei Frauen abermals verbessern). Es geht um den "Paarungsvorteil" in der Konkurrenz um Fortpflanzungschancen. Das Grundmuster ist auch aus anderen Studien klar: Bei Frauen kommt es auf Gesundheit, Schönheit, Treue an, also auf ihre direkte biologische Kapazität, Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Bei Männern kommt es auf soziale Potenz an, Geld und materielle Ressourcen, soziale Macht und Stärke, um die Nachkommenschaft zu sichern und sich, Frau und Kinder gegen die Konkurrenz durchzusetzen.
Das Modell wirkt altertümlich und soll es auch sein: So, sagen die Soziobiologen, haben basale menschliche Verkehrsformen jahrtausendelang funktioniert, so sah das Erfolgsmodell des Überlebens aus in einer archaischen Gesellschaft ohne Staat, ohne Polizeischutz, wo die Ahndung von Totschlag zwangsläufig Privatsache blieb. Manche Wildwestfilme veranschaulichen solche Zustände und vermitteln, wie "rational" Tötungen eingesetzt wurden etwa im Konflikt zwischen Ackerbauern und den Besitzern großer Viehherden, zum Eigentumsschutz, aber auch bei der Etablierung von Banden (Schutzgeld) und schließlich in der Konkurrenz um Frauen. Und David Buss ist Professor für evolutionäre Psychologie in Austin/Texas, wo die Evolution inzwischen dafür gesorgt hat, dass nur eine Minderzahl der Konflikte gewaltsam gelöst wird.
Das räumt Buss auch umstandslos ein: Meist gebe es heute bessere Lösungen, als den Widersacher zu töten. Aber heftig gewünscht hätten es sich die meisten Menschen schon, mindestens einmal im Leben. Er hat dazu große Umfragen durchgeführt, an Tausenden von ordentlichen Menschen auf mehreren Kontinenten, und ungefähr drei Viertel von diesen, auch Frauen, berichteten davon, mindestens einmal im Leben den Wunsch verspürt zu haben, einen Konkurrenten zu töten. Nicht ganz so viele berichteten, dass sie sich schon einmal bedroht gefühlt haben.
Anhand paläoanthropologischer Befunde weist Buss darauf hin, dass in archaischen Gesellschaften ein hohes Tötungsrisiko bestand, dem zwischen zehn und dreißig Prozent vor allem der jungen Männer zum Opfer gefallen seien. Man hat, um zu solchen Zahlen zu kommen, beispielsweise uralte Friedhöfe primitiver Gesellschaften untersucht und geprüft, wie viele Personen anhand der Knochenbefunde eines unnatürlichen Todes gestorben waren. Dabei waren die Grenzen zwischen "privaten" Tötungsdelikten und "Kriegen" natürlich fließend. Auch Raubzüge (man denke an jenen der Römer gegen die Sabiner) hätten aber in erheblichem Umfang dazu gedient, sich in den Besitz von Frauen zu bringen oder von Ressourcen, um Frauen gewinnen, ernähren und samt Nachwuchs halten zu können.
"Mord", so erklärt Buss munter, "ist ein Ergebnis des Selektionsdrucks, dem unsere Art in ihrer Entwicklungsgeschichte ausgesetzt war." In der "kalten Kosten-Nutzen-Rechnung der Evolution" hatten jene Vorfahren Überlebensvorteile, die bereit und imstande waren zu töten (den Terminus "Mord" verwendet Buss nicht im deutschen juristischen Sinne, sondern gleichsinnig mit Totschlag und Töten). Ganz besonders schlecht aber war es, sich töten zu lassen: Man war dann nicht nur tot und konnte keine Gene weitergeben, man konnte zudem die Nachkommenschaft nicht schützen und riskierte, dass die ganze Sippe ausgelöscht wurde - und damit jede Spur der eigenen Gene. Da jahrtausendelang ein erhebliches Risiko bestand, getötet zu werden (während jahrtausendelang kaum jemand im Straßenverkehr umkam), haben wir entwicklungsgeschichtlich eine Reihe hochsensibler Schutzmechanismen entwickelt, die verhindern sollen, dass wir ermordet werden. So erklärt Buss auch die hohe Aufmerksamkeit von nahezu jedermann für Mord, in den Medien oder Kriminalfilmen.
Darüber hinaus haben wir ein breites Repertoire an effektiven Frühwarn- und Abwehrmechanismen; wir haben ein Gespür, wann Situationen gewalttätig entgleisen könnten und wann Personen anfangen, gefährlich zu werden. Dazu gehört etwa die verbreitete Fähigkeit, inmitten einer Menschenmenge blitzschnell ein wütendes Gesicht auszumachen. Dass wir nun wiederum gewappnet sind, uns gegen Mordversuche zu verteidigen, und dass wir bereit sind, für den Schutz gegen Tötungsdelikte einiges an Ressourcen einzusetzen, führt nach Buss dazu, dass es außerordentlich gefährlich (geworden) ist, zu versuchen, jemanden umzubringen.
Früher riskierte der Angreifer vor allem, selbst getötet zu werden, heute riskiert er eine lebenslange Freiheitsstrafe, in manchen Staaten der Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern auch den finalen Ausschluss von Fortpflanzungschancen durch Hinrichtung. Jedenfalls sei es den Kosten und Risiken eines Tötungsversuchs geschuldet, dass Morde relativ selten sind.
Recht überzeugend ist Buss in den Nachweisen, dass viele klassische Mordkonstellationen - gegen die verlassende Partnerin, gegen Kinder, gegen Eltern, gegen Rivalen - keineswegs pathologisch motiviert sind, nicht einer Krankheit entsprechen, sondern nachvollziehbar normalpsychologisch motiviert sind. Dafür bedarf es allerdings keiner Evolutionsbiologie, sondern der Musterung der tatsächlichen Fälle, bei Buss unter anderem einer großen Sammlung psychiatrisch begutachteter Mörder. "Ganz normale" Eifersucht und Rache sind in der Tat häufige Motive, erklärungsbedürftig ist in aller Regel nicht das Motiv, sondern warum der Täter das hohe Risiko schwerer Bestrafung einging.
Die zwei häufigsten Gründe hierfür sind: weil er entweder hoffte, einer Strafe zu entgehen, oder weil er sich angesichts der emotionalen Intensität seiner Wut und Rachewünsche weigerte, über mögliche nachteilige Folgen für ihn selbst nachzudenken. Es ist natürlich ein Leichtes, all diesen auf der Hand liegenden Motiven ein Verbindungsstück dahin zuzufügen, dass in archaischen Gesellschaften der Täter mit der Tat seine Fortpflanzungschancen verbessert hätte: Wer die untreue Frau behält, füttert in den Kindern die Gene anderer Männer. Wer seine Stiefkinder leben lässt, verschwendet Ressourcen an fremde Gene. Wer seine Rivalen leben lässt, begibt sich möglicherweise der Chance, die beste Frau zu erobern.
Es nervt auf Dauer die Penetranz, mit der Buss trotz der Vielfalt der tatsächlichen, relevanten Motive immer wieder auf die Fortpflanzungschancen rekurriert, die dadurch - oft nur theoretisch - verbessert werden könnten. Gleichwohl mag man glauben, dass in unserem evolutionspsychologisch gewachsenen seelischen Unterfutter eben verschiedene Muster eingestickt sind, die dazu führen, dass bestimmte Verhaltenstendenzen eine stärkere Ausprägung gewinnen. Stiefkinder haben empirisch gesehen eindeutig ein höheres Risiko, misshandelt zu werden, auch wenn die große Mehrheit nicht misshandelt wird.
Buss weist aber einen genetischen Determinismus entschieden zurück: dass es typische psychologische Konstellationen beim Menschen gibt, in denen Tötungswünsche aufkommen, bedeute keineswegs, dass wir dies dann tun müssen.
Das Buch arbeitet mit vielen Straftat-Vignetten und steter Wiederholung seiner zentralen Thesen; der Leser wird tief im Lager der Unwissenheit abgeholt, und mehrmals wird ihm versichert, dass Buss "durch einzigartige Forschungsarbeit" die Grundlagen "der tiefgreifendsten, umfassendsten und wissenschaftlich solidesten Theorie über den Mord entwickelt (habe), die je aufgestellt wurde". Da kann die wissenschaftliche Konkurrenz ihre Fortpflanzungshoffnungen wohl begraben. Neben populärwissenschaftlichen finden sich aber immer wieder auch anregende Passagen, und wer befangen ist von der Idee, Gewaltverbrechen und insbesondere die zunächst schwer verständlich erscheinenden innerfamiliären Morde könnten nur kranken oder schwer traumatisierten Gehirnen entspringen, sollte mit diesem Buch seine Gedankenwelt durchlüften.
Ein Wort noch zum Gen: Vielleicht fühlt es sich missverstanden. Vielleicht will es gar nicht ständig
weitergereicht werden. Vielleicht will es nur mal in Ruhe exprimiert werden. Das chillende Gen.
HANS-LUDWIG KRÖBER, FAZ 3.12.2007
David M. Buss: "Der Mörder in uns". Warum wir zum Töten programmiert sind. Aus dem Englischen von Andrea Kamphuis. Elsevier/Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2007. VI, 285 S., geb., 24,95 [Euro].
// Die Bedeutung der kulturellen Evolution hat seit zweitausend Jahren stark zugenommen - besonders in den christlichen Ländern, in denen die Zahl der Totschläge kontinuierlich sank - bis etwa 1970, seitdem nimmt sie dort wieder zu.

- Romane machen leicht dumm: " Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille schildern in ihrer faszinierenden Studie, die ein mehrjähriges Projekt des Berliner Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte zusammenfaßt, den Weg zum zeitgenössischen Vererbungskonzept als eine langwierige Entwicklung, die sich in vielen verschiedenen kulturellen Kontexten zutrug. Phänomene der Vererbung verankerten sich zunächst in einem weiten, von Medizin, Züchtung und internationalem Handel aufgespannten Raum. Dort wurden Regularitäten definiert und eine gemeinsame Sprache gefunden. An der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert verdichteten sich Vererbungsphänomene zu einem epistemischen Objekt, dem Gen, dessen Eigenschaften und Funktionen im Labor bis ins letzte Detail untersucht werden konnten. ..." Hans-Jörg Rheinberger, Staffan Müller-Wille: „Vererbung“. Geschichte und Kultur eines biologischen Konzepts. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 348 S., Abb., br., 13,95 Euro.

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