Samstag, 7. November 2009
Eibl-Eibesfeldt: Strukturalismus, Mensch, Charter Schools u. Sekundärtugenden, Kandel
Nürnberger Trichter, Postkarte (um 1940)(Wiki.)
Ulf Puders Kirchturmspitze
7°C Regen; auch bei 4°C nachts sind noch Mücken unterwegs
- Strukturalismus: " ... Nach Claude Lévi-Strauss sind binärer Kontrast und Reziprozität die fundamentalen strukturierenden Prinzipien kulturellen Gestaltens. ... daß logisches Kategorien immer nach dem Prinzip des binären Kontrasts gebildet werden. ... Claude Lévi-Strauss meint, eine derartige Dualität würde den meisten soziokulturellen Phänomenen zugrunde liegen. Das ist im Grunde die Essenz des Strukturalismus. ..." Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens, Piper 1984, S. 638; E.-E. verweist auf weitere Konstruktionsprinzipien. Er ist sehr viel genauer und bietet umfangreicheres und weiterführenderes Material als Lévi-Strauss.
Wie weit reicht eine Anthropologie überhaupt? Zwei Beine, Nahrungstrieb, Liebe und Haß, Neigung zu binärer Kodierung, Verkopfung - damit sind die bei allen Menschen anzutreffenden Merkmale zwar noch nicht erschöpft, aber prinzipiell umrissen. Und diese Universalien sind ganz sicher der Erkundung wert und natürlich der Kenntnisnahme. Aber dort, wo es spannend wird, im Bereich der Vielfalt der Kulturen und der kulturellen Vielfältigkeit innerhalb einer modernen Kultur, der Aufffassung von Kultur, der strittigen Merkmale der Moderne usw. usf. - dahin reicht die Anthropologie nicht.
- Menschlicher und schulischer Gewinn: " Was unterscheidet Charter Schools von regulären staatlichen Schulen außer der Tatsache, dass sie Lehrer nach eigenem Gutdünken rekrutieren und bezahlen können? Auf den Websites der Dachorganisation heißt es, sie seien eine "radikale erzieherische Innovation", stellten "traditionelle Vorstellungen von öffentlicher Bildung" in Frage, erlaubten Wahlfreiheit und dienten unterschiedlichen "community needs". Tatsächlich bestimmen lokale Initiativen und die Elternnachfrage über die Gestalt, das Profil und die konkrete Arbeit dieser Schulen. Ihre Gründer sind unternehmerisch orientierte Lehrer und Elterngruppen, die sich über die Angebote und Leistungen der öffentlichen Schulen in ihrem Bezirk ärgern, soziale Aktivisten, die demonstrieren wollen, dass alle Menschen bildungsfähig sind und eine gute schulische Erziehung verdienen, und einige christliche Fundamentalisten, die sie als probates Missionsinstrument begreifen. Den meisten geht es indes weder um materiellen Gewinn noch um die rechte Lehre, sondern um praktische Abhilfe für eine desolate schulische Versorgungslage. Nicht wenige Charter Schools setzen dafür auf strikte Disziplin und Arbeitstugenden, die in normalen Schulen als nicht durchsetzbar erscheinen. So gehört zum Beispiel die Vermittlung von Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Rücksichtnahme und persönliche Anstrengung für die 82 Charter Schools im hochgelobten "Knowledge is Power Program" (KIPP) zu den wichtigsten Lernzielen. ..." Autonome, aber haftbare Schulen, FAZ 4.11.09
/// Alle sollen das gleiche lernen, meinen moderne Menschen in modernen Gesellschaften und verstehen das als Chancengleichheit, weswegen die öffentlichen US-Schulen allesamt Gesamtschulen sind. Dahinter steht die pädagogische Vorstellung des NÜRNBERGER TRICHTERS: man klappt den Schülerschädel auf und füllt eine Schullektion ein, anschließend Klappe wieder zu. In modernen Gesellschaften gibt es viele steinzeitliche Vorstellungen. Daß jeder Mensch anders ist, sogar jeder Schüler, jedes Gehirn und jeder Bewußtseinsstrom und daß Lernen die spezifische Aufnahme in einen spezifischen Bewußtseinsstrom ist, das haben intuitiv begabte Pädagogen schon immer geahnt, aber das ist bei vielen modernen Schulideologen immer noch nicht angekommen, obwohl sie das in ihrem eigenen Schulleben vielfach erlebt haben. Und was haben viele Schüler von den vielen Schuljahren? Oftmals nur abgesessene, verschwendete Lebenszeit. Man denke an die italienischen Einwanderer, die den höchsten Anteil in den deutschen Hilfsschulen (sie dürfen heute nicht mehr so heißen) stellen. Sie werden in Vaters Restaurant gehen, dort gut kochen und so allen dienen, dazu haben sie Lust, aber sie interessieren sich weder für die Winkelsumme im Dreieck noch für deutsche Geschichte. Allerhand ist das, rufen da die Gleichheitsapostel, aber es klingt blechern. Von der Vermittlung der sogenannten Sekundärtugenden aber, die freudianisch beeinfluße Neupädagogik weitgehend abgeschafft hat, profitieren alle Schüler.
- Gedächtnisforscher Eric Kandel meinte im Gespräch, daß die tradierte Talmud-Hermeneutik ihm wissenschaftlich zur Dialogfähigkeit verholfen habe, ihm zumindest hilfreich gewesen sei, obwohl er gar nicht religiös sei. Das mag schon sein, der Babylonische Talmud und seine Kommentierungen können als dialogisch erscheinen. Aber wer das so wahrnimmt, kann als bereits dialogisch disponiert gelten und entfaltete diese wissenschaftlich fruchtbare Grundeinstellung auch in ganz anderen Textzusammenhängen. Immerhin fallen die vielen jüdischstämmigen Namen in der Wissenschaft auf. Ich würde das allerdings eher auf den Wettbewerb zurückführen, den Einwanderer verstärkt spüren, wenn nicht gar Verfolgungen diesen Wettbewerb noch verstärken.
Die Hermeneutik kann zu einem feineren Textverständnis führen, aber es bleibt bei einer Lesart; die weitere Untersuchung braucht eine empirisch belastbare Konstruktion.
Diese vielfältige Auslegungspraxis wird auch im Christentum produktiv.
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