Dienstag, 30. August 2011
Mein Gott, Schiller
Lebte noch ohne Aderlässe: Ludwig XIV.
Goethes Porträt der alten Hochschule / Universität:
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteliere hin und her.
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein:
Das Erst wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt und Vierte so;
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
(Faust I, Studierzimmer, Schülerszene I)
Die medizinische “Ausbildung” war ein besonders tödliches Kapitel:
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir mit höllischen Latwergen
In diesen Tälern, diesen Bergen
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:
Sie welkten hin, ich muß erleben,
Daß man die frechen Mörder lobt.
(Faust I, Vor dem Tor)
Noch zu Lebzeiten Goethes bot die Weimarer Apotheke haarsträubende Produkte an, die mit heutigen Arzneimitteln fast nicht zu vergleichen sind.
Daher hielt man sich am besten an alte Hausmittel, die zwar auch nicht verläßlich waren, aber stärker auf Erfahrungswissen beruhten. Um Quacksalber wie den jungen Schiller machte man am besten einen großen Bogen, wenn einem sein Leben lieb war. “Offenbar war es nur der guten Natur der Augeschen Grenadiere zuzuschreiben, wenn sie Schillers höllische Mixturen überstanden.” (Burschell, Schiller, S. 25) Schillers Berufswechsel war also ein großer Gewinn für alle, vielen Menschen dürfte dieser Wechsel sogar das Leben gerettet haben.
Bis in das 19. Jahrhundert wurde der unkontrollierte Aderlaß praktiziert, der viele Patienten umbrachte. Er war ein Hauptmittel er antiken und mittelalterlichen Medizin und beruhte auf der antiken Vorstellung (Hippokrates, Galen), Krankheit beruhe auf einem gestörten Verhältnis der Körpersäfte. Besonders die Reichen waren betroffen, die Ärzte in Anspruch nahmen. “War ein Kind kränklich, ließen sie es zur Ader, gaben ihm ein Abführmittel, dann ein Brechmittel, und dieses führte dann meist zum Tode. … Zehn der siebzehn Kinder, die der König von seiner Gemahlin und seinen Hauptfavoritinnen hatte, starben als Säuglinge - ein ganz normaler Prozentsatz für einen Reichen.” (Nancy Mitford, Der Sonnenkönig, S. 151) Der arztgläubige Ludwig XIV. selbst hätte wahrscheinlich ohne seine Ärzte und die jahrelangen inneren Reinigungen, Aderlässe und Einläufe sehr viel länger gelebt.
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Medizin sehr langsam zu einer naturwissenschaftlichen Disziplin wurde, besserte sich die Lage, aber der Fall des Ignaz Semmelweis (1818-1865, Kindbettfieber) zeigt, wie schwierig das war.
Die ärztliche Ausbildung heute hat mit der der alten Universität nichts mehr gemein.
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