Sonntag, 18. Dezember 2011
Schein, Sein und Kommunikation
Ein paar Schneeflocken gab es zum zweiten Mal in diesem Herbst
Rüdiger Achenbach unterhielt sich diese Woche im DLF mit der jüdischen Religions-
historikerin Dr. Edna Brocke über die abrahamitischen Religionen im Hinblick auf das Judentum. Am Rande erwähnte Brocke, daß die schwarze, exotische Tracht der orthodoxen Juden mit dem Judentum selbst nichts zu tun habe. Sie habe sich über die Ostjuden verbreitet, die die polnische Adelstracht kopierten, nachdem ihnen das in Anerkennung bürgerlicher (pekuniärer) Verdienste erlaubt worden sei.
Wem fiele da nicht Gottfried Keller und sein Wenzel Strapinski ein in der Novelle
„Kleider machen Leute“ :
An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihm ordentlich von diesem Drehen und Reiben. Denn er hatte wegen des Fallimentes (Pleite, WD) irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagbrot herwachsen sollte. Das Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Sammet ausgeschlagen, der seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.
Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne daß er etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als daß er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wußte. ...
Quelle: http://www.textquellen.de
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