Eine große Erzählung aus einer Zeit, in der manches schwieriger und manches einfacher war (Aus: Th. Storm, Der Schimmelreiter):
“Als er heute, seine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten, aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederten Vogel mit nach Hause, und der Kater mauzte wie gewöhnlich, als er ihn kommen sah. Aber Hauke wollte seine Beute – es mag ein Eisvogel gewesen sein – diesmal nicht hergeben und kehrte sich nicht an die Gier des Tieres. »Umschicht!« rief er ihm zu, »heute mir, morgen dir; das hier ist kein Katerfressen!« Aber der Kater kam vorsichtigen Schrittes herangeschlichen; Hauke stand und sah ihn an, der Vogel hing an seiner Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze stehen. Doch der Bursche schien seinen Katzenfreund noch nicht so ganz zu kennen; denn während er ihm seinen Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte, fühlte er mit einem Ruck die Jagdbeute sich entrissen, und zugleich schlug eine scharfe Kralle ihm ins Fleisch. Ein Grimm, wie gleichfalls eines Raubtiers, flog dem jungen Menschen ins Blut; er griff wie rasend um sich und hatte den Räuber schon am Genicke gepackt. Mit der Faust hielt er das mächtige Tier empor und würgte es, daß die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen, nicht achtend, daß die starken Hintertatzen ihm den Arm zerfleischten. »Hoiho!« schrie er und packte ihn noch fester; »wollen sehen, wer's von uns beiden am längsten aushält!« …
Hauke sah sie mit halbem Lächeln an. »Auch du doch, Elke!« sagte er.
Aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, Hauke; als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; du aber siehst draußen alles, was der Deichgraf doch wohl selber sehen sollte; du hast mich ausgestochen!«
»Ich hab das nicht gewollt, dich am mindsten«, sagte Hauke zaghaft, und er stieß den Kopf einer Kuh zur Seite. »Komm, Rotbunt, friß mir nicht die Furke auf, du sollst ja alles haben!«
»Denk nur nicht, daß mir's leid tut, Hauke«, sagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; »das ist ja Mannessache!«
Da streckte Hauke ihr den Arm entgegen: »Elke, gib mir die Hand darauf!«
Ein tiefes Rot schoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. »Warum? Ich lüg ja nicht!« rief sie.
Hauke wollte antworten; aber sie war schon zum Stall hinaus, und er stand mit seiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um sie schnatterten und krähten. …
»Er ist kaum vierundzwanzig«, bemerkte der Gevollmächtigte Manners; »aber der Pastor hat recht: was in den letzten Jahren Gutes für Deiche und Siele und dergleichen vom Deichgrafenamt in Vorschlag kam, das war von ihm; mit dem Alten war's doch zuletzt nichts mehr.«
»So, so?« machte der Oberdeichgraf; »und Ihr meinet, er wäre nun auch der Mann, um in das Amt seines alten Herrn einzurücken?«
»Der Mann wäre es schon«, entgegnete Jewe Manners; »aber ihm fehlt das, was man hier ›Klei unter den Füßen‹ nennt; sein Vater hatte so um fünfzehn, er mag gut zwanzig Demat haben, aber damit ist bis jetzt hier niemand Deichgraf geworden.«
Der Pastor tat schon den Mund auf, als wolle er etwas einwenden, da trat Elke Volkerts, die eine Weile schon im Zimmer gewesen, plötzlich zu ihnen. »Wollen Euer Gnaden mir ein Wort erlauben?« sprach sie zu dem Oberbeamten; »es ist nur, damit aus einem Irrtum nicht ein Unrecht werde!«
»So sprecht, Jungfer Elke!« entgegnete dieser; »Weisheit von hübschen Mädchenlippen hört sich allzeit gut!«
– »Es ist nicht Weisheit, Euer Gnaden; ich will nur die Wahrheit sagen.«
»Auch die muß man ja hören können, Jungfer Elke!«
Das Mädchen ließ ihre dunklen Augen noch einmal zur Seite gehen, als ob sie wegen überflüssiger Ohren sich versichern wolle. »Euer Gnaden«, begann sie dann, und ihre Brust hob sich in stärkerer Bewegung, »mein Pate, Jewe Manners, sagte Ihnen, daß Hauke Haien nur etwa zwanzig Demat im Besitz habe; das ist im Augenblick auch richtig, aber sobald es sein muß, wird Hauke noch um soviel mehr sein eigen nennen, als dieser, meines Vaters, jetzt mein Hof an Dematzahl beträgt; für einen Deichgrafen wird das zusammen denn wohl reichen.«
Der alte Manners reckte den weißen Kopf gegen sie, als müsse er erst sehen, wer denn eigentlich da rede. »Was ist das?« sagte er; »Kind, was sprichst du da?«
Aber Elke zog an einem schwarzen Bändchen einen blinkenden Goldring aus ihrem Mieder. »Ich bin verlobt, Pate Manners«, sagte sie; »hier ist der Ring, und Hauke Haien ist mein Bräutigam.«
– »Und wann – ich darf's wohl fragen, da ich dich aus der Taufe hob, Elke Volkerts wann ist denn das passiert?«
– »Das war schon vor geraumer Zeit; doch war ich mündig, Pate Manners«, sagte sie; »mein Vater war schon hinfällig worden, und da ich ihn kannte, so wollt ich ihn nicht mehr damit beunruhigen; itzt, da er bei Gott ist, wird er einsehen, daß sein Kind bei diesem Manne wohl geborgen ist. Ich hätte es auch das Trauerjahr hindurch schon ausgeschwiegen; jetzt aber, um Haukes und um des Kooges willen, hab ich reden müssen.« Und zum Oberdeichgrafen gewandt, setzte sie hinzu: »Euer Gnaden wollen mir das verzeihen!«
Die drei Männer sahen sich an; der Pastor lachte, der alte Gevollmächtigte ließ es bei einem »Hm, hm!« bewenden, während der Oberdeichgraf wie vor einer wichtigen Entscheidung sich die Stirn rieb. »Ja, liebe Jungfer«, sagte er endlich, »aber wie steht es denn hier im Kooge mit den ehelichen Güterrechten? Ich muß gestehen, ich bin augenblicklich nicht recht kapitelfest in diesem Wirrsal!«
»Das brauchen Euer Gnaden auch nicht«, entgegnete des Deichgrafen Tochter, »ich werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter übertragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz«, setzte sie lächelnd hinzu; »ich will den reichsten Mann im Dorfe heiraten!«
»Nun, Manners«, meinte der Pastor, »ich denke, Sie werden auch als Pate nichts dagegen haben, wenn ich den jungen Deichgrafen mit des alten Tochter zusammengebe!«
Der Alte schüttelte leis den Kopf »Unser Herrgott gebe seinen Segen!« sagte er andächtig.
Der Oberdeichgraf aber reichte dem Mädchen seine Hand: »Wahr und weise habt Ihr gesprochen, Elke Volkerts; ich danke Euch für so kräftige Erläuterungen und hoffe auch in Zukunft, und bei freundlicheren Gelegenheiten als heute, der Gast Eueres Hauses zu sein; aber daß ein Deichgraf von solch junger Jungfer gemacht wurde, das ist das Wunderbare an der Sache!«
»Euer Gnaden«, erwiderte Elke und sah den gütigen Oberbeamten noch einmal mit ihren ernsten Augen an, »einem rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen!« Dann ging sie in den anstoßenden Pesel und legte schweigend ihre Hand in Hauke Haiens. …
Es war um mehrere Jahre später: In dem kleinen Hause Tede Haiens wohnte jetzt ein rüstiger Arbeiter mit Frau und Kind, der junge Deichgraf Hauke Haien saß mit seinem Weibe Elke Volkerts auf deren väterlicher Hofstelle. Im Sommer rauschte die gewaltige Esche nach wie vor am Hause; aber auf der Bank, die jetzt darunterstand, sah man abends meist nur die junge Frau, einsam mit einer häuslichen Arbeit in den Händen; noch immer fehlte ein Kind in dieser Ehe; der Mann aber hatte anderes zu tun, als Feierabend vor der Tür zu halten, denn trotz seiner früheren Mithülfe lagen aus des Alten Amtsführung eine Menge unerledigter Dinge, an die auch er derzeit zu rühren nicht für gut gefunden hatte; jetzt aber mußte allmählich alles aus dem Wege; er fegte mit einem scharfen Besen. …”
Aus: Th. Storm, Der Schimmelreiter, Novelle 1888; Text steht im Netz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen