“Die Bevölkerung mittelalterlicher Städte bestand zum größten Teil aus Einwanderern. Das war zwar überall so, erhielt aber in den Grenzregionen dadurch besondere Bedeutung, daß sich die Stadtbewohner, wenigstens ein beträchtlicher Teil von ihnen, ethnisch von der Landbevölkerung unterschieden. Einwanderer, die von weither kamen, hatten oft eine Stadt als Reiseziel; und in Gebieten wie Osteuropa oder den keltischen Ländern wurde der Gegensatz zwischen Stadt und Land auch noch von ethnischen Widerständen begleitet oder aufgeheizt, denn viele städtische Siedlungen wurden dort überwiegend oder ausschließlich von Immigranten bewohnt. … Auch die Städte auf den britischen Inseln hatten einen ähnlichen sprachlichen Sonderstatus. Dort wurde viel mehr Französisch gesprochen als auf dem umliegenden Lande. In der Zeit nach der normannischen Eroberung hatten sich französische Siedler in vielen städtischen Zentren niedergelassen … und die Entwicklungen der nachfolgenden Jahrhunderte bestärkten die gallozentrische Ausrichtung der Kultur noch weiter. … Auch in Wales und Irland waren die Städte oft - wie jene im polnischen Galizien oder in Livland - Sprachinseln.”*
Offenbar war die kommunikative Vernetzung recht gering und konnte mit einer einfachen Mehrsprachigkeit nach Stil des heutigen Flughafenenglischs koexistieren. So wie noch im 18. Jahrhundert Französisch die höfische und diplomatische Sprache war. Die mittelalterlichen Landgemeinden rekrutierten sich autochthon und führten ein isoliertes Leben. In den Städten aber nahm die Zahl der interethnischen Kontakte zu, Interaktionen und Kommunikationen im Nahbereich dürften aber steigend zu Reibungen geführt haben, wie sie schon in der Dalimil-Reimchronik Ausdruck fanden für die tschechische Brautwahl Herzog Ulrichs im 11. Jahrhundert:
“Einem jeglichen liegt seine Zunge sehr am Herzen;
Darum wird eine Fremde niemals meine Frau.
Sie hielte meinen Leuten nicht die Treue.
Fremdes Gesinde würde eine Fremde haben,
Und meinen Kindern würde sie Deutsch beibringen
Und deren Gewohnheiten umkehren.
So würde schon bei der Zunge
Große Zwietracht entstehen,
Und für das Land wäre das ein rechtes Verderben.”
*Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 280ff.
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