Donnerstag, 11. Dezember 2008

Länder, die Finanzmarkt-Crashs erlebt haben, sind langfristig stärker gewachsen.


Im Gespräch: Frank Westermann, empirischer Ökonom an der Universität Osnabrück , FAZ 23.10.08
"Alle haben gewusst, was passiert"
Länder, die Finanzmarkt-Crashs erlebt haben, sind langfristig stärker gewachsen. Der Wirtschaftsforscher Frank Westermann sagt, die Kosten der Bankenrettungen für den Staat lägen im historischen Vergleich "im Rahmen", und warnt vor Überregulierung.

Sie haben schon vor einigen Monaten im "Quarterly Journal of Economics" in einer Studie den langfristigen Zusammenhang zwischen Finanzmarktkrisen und Wirtschaftswachstum untersucht. Ihr Ergebnis ist, dass Volkswirtschaften, die teils schwere Finanzkrisen erlebt haben, seit 1960 stärker gewachsen sind. Wie kommt das?

In der Studie habe ich mit meinen Koautoren Romain Rancière und Aaron Tornell diesen Zusammenhang anhand eines Datensatzes von 58 Ländern untersucht. Wir haben herausgefunden, dass die Menschen in Staaten, die ihre Finanzmärkte liberalisiert und im Zuge dessen gelegentlich schwere Finanzkrisen erlebt haben, ein langfristig höheres Pro-Kopf-Einkommen erzielen. Am stärksten gilt der Zusammenhang für Länder mit mittlerem Einkommen, in denen es Investitionsstaus gibt, also etwa Schwellenländer mit mangelnder Vertragssicherheit. Aber der Zusammenhang war auch bei den Industrienationen positiv. Jede Entscheidung, zu regulieren, hat zwei Folgen: Auf der einen Seite kann man Finanzkrisen unterbinden, andererseits führt ein restriktiver reguliertes Finanzsystem zu weniger kreditfinanzierten Investitionen.

Wir erleben die schwerste Finanzkrise seit fast 80 Jahren. Möglicherweise finden Sie da mit Ihrer langfristigen Perspektive wenig Aufmerksamkeit.

Ich betrachte die Gesamtlage etwas entspannter. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass zwei Dinge Teil eines Wirkungsmechanismus sind: eine hohe Wachstumsrate und damit einhergehende Krisen, die in der Vergangenheit auch in Industrieländern häufiger aufgetreten sind. Ende der achtziger Jahre hat es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten die Savings and Loan Crisis gegeben, damals gewährte der Staat den Banken einen Kredit von 400 Milliarden Dollar, von denen tatsächlich nur 124 Milliarden in Anspruch genommen wurden.

Immobilienspekulationen in Amerika reißen Banken und Staaten auf der ganzen Welt um. Ist dies nicht eine ganz neue Dimension der Krise?

Ich bin nicht der Meinung, dass sich die Staatspakete heute in ihrem Umfang sehr stark von denjenigen unterscheiden, die es auch in der Vergangenheit gab. Beispielsweise entsprechen die 700 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten rund 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. In Deutschland sind von den 470 Milliarden Euro 70 Milliarden direkte Kapitalzuschüsse, das sind etwa 3,2 Prozent des deutschen Sozialproduktes. Im schlimmsten Fall, wenn alle Garantien gezogen würden, wären es 21,6 Prozent. Das liegt im internationalen Vergleich ungefähr in dem Rahmen, was andere Krisen den Staat kosteten. Die Tequila-Krise in Mexiko und die Asien-Krise in Thailand wurden jeweils mit etwa 18 Prozent des Sozialproduktes beendet, in Korea waren es 27 Prozent. Norwegen hat 1986 acht Prozent seines Sozialproduktes eingesetzt und Schweden 1992 vier Prozent. In Japan, welches die größte Parallele zu der heutigen Krise aufweist, waren es 20 Prozent.

Ihre Sichtweise ist ziemlich unpopulär. Friedrich Merz, der mehr Kapitalismus forderte, war den Zeitungen nur kleine, spöttische Spalten wert. Diese Krise mit gewaltigen Staatshilfen für profitsüchtige Banken wird ja zu Recht als empörend empfunden. Sie bleiben dabei: Freie Märkte, auch Finanzmärkte, nützen mehr, als sie schaden?

Zumindest ist dies in einem großen Querschnitt von Ländern zu beobachten. Ich sage aber nicht, dass völlige Deregulierung optimal ist. Man sollte jedoch berücksichtigen, dass starke Regulierung mit Opportunitätskosten verbunden ist.

Sollen jenseits der Leerverkäufe nicht mehr dieser Finanzinstrumente verboten werden, die niemand mehr versteht?

Dass es jetzt Instrumente gab, die zu Marktstörungen geführt haben, liegt sicherlich daran, dass es hier besonders starke Informations-Asymmetrien gab. Ich glaube aber nicht, dass diese Instrumente die Hauptverantwortlichen für die Krise sind. Hauptverantwortlich ist der stark zurückgegangene Immobilienpreis in den Vereinigten Staaten. Für Deutschland kann man zum Glück darauf hinweisen, dass es hier kein vergleichbares fundamentales Problem gibt, anders auch als in England, Spanien, Japan. Das deutsche Bankensystem ist nur indirekt betroffen. Bei den Vereinigten Staaten bin ich mir dagegen nicht sicher, ob sie mit den 700 Milliarden das Problem gelöst haben, wenn Häuserpreise weiter fallen.

Trifft die amerikanische Geldpolitik mehr Schuld an der Krise als die Banken mit ihren abstrakten Derivaten?

Schuld ist nicht ein Einziger. Alle haben gewusst, was passiert, wenn der Immobilienpreis einmal absacken würde: die Politiker, die Hausbesitzer, auch die Banken. Aber weil eben alle das wussten und alle damit rechnen konnten, dass die Regierung im Zweifelsfall die Banken retten würde, wurde die spekulative Blase so groß. Die Marktteilnehmer suchen geradezu so ein systematisches Risiko, weil es dann viele betrifft und eine staatliche Rettungsaktion zwingend macht. Ein ähnliches Phänomen hat es in der Asien-Krise und der Tequila-Krise gegeben, wo das Risikoverhalten nicht über die Hauspreise ging, sondern über die Wechselkurse. Die Firmen haben sich damals alle auf Fremdwährungskredite eingelassen, und allen musste bewusst sein, dass bei einer Währungskrise der Wert der Schulden derartig in die Höhe schnellt, dass ein systematischer Bankrott vieler Firmen die Folge sein musste. Auch da haben alle Akteure rationalerweise die staatliche Rettungsaktion erwartet.

Dieses Problem wird künftig verstärkt auftreten.

Richtig. Um begründen zu können, dass diese Krisen trotzdem etwas Positives haben, muss man einen weiteren Aspekt hineinbringen: dass in der Ausgangssituation der Kreditmarkt nicht reibungslos funktioniert und eine Unterinvestition durch Kreditfinanzierungen besteht. Das ist auch eine zentrale Annahme in unserem Paper, die für Emerging Markets zutrifft und in einem gewissen Grad auch noch für Industrieländer. Natürlich ist dies eine Second-Best-Politik.

Sind Staatsbankrotte größerer Länder als Island ein realistisches Szenario?

Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Die Vereinigten Staaten haben historisch immer eine niedrige Staatsschuld gehabt, auch jetzt noch. Am ehesten würde ich mir als Worst-case-Szenario den Fall Japans anschauen. Japan hat durch den Bail-out etwa 50 Prozent des Bankensystems verstaatlicht. Das hat zusammen mit Konjunkturprogrammen Kosten verursacht, so dass die Staatsverschuldungsquote von etwa 60 auf über 160 Prozent gestiegen ist. Über einen langen Zeitraum gesehen, gehört aber auch Japan zu den am schnellsten wachsenden Industrienationen. Das Gespräch führte Jan Grossarth. // Niemand hat es gewußt, der h.s.s. ist ziemlich unklug, aber viele hätten es vielleicht ahnen können, die vor Ort die Immobilienpreise verfolgt haben. Erare humanum est.

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