Montag, 19. November 2007

Staat, Klimawandel

Mi 4° b/R

- Der Staat ist das kälteste aller kalten Ungeheuer, notierte Nietzsche im Nachlaß der Achtziger Jahre. Daran mußte ich denken bei den Ost-(SBZ-)Berichten in der ARD-Montags-Serie DIE SECHZIGER JAHRE. Wie furchtbar die kommunistische Verbrechensmühle die Individuen schrotete. Staatsverbrecher wie Ulbricht und Honecker kamen ungeschoren davon. Ein Sklavenmeister wie Bisky sitzt im Parlament.- Schöne Film- und Musik-Dokumente; "My little Runaway" (Freddy Cannon?).

- Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.06.2007, Nr. 24, S. K1

Leben mit dem Klimawandel. Gewinner und Verlierer

Wir bauen auf wärmere Zeiten

Die Menschen haben Kühlschrank und Klimaanlage erfunden. Da wird ihnen wohl auch noch etwas einfallen, wenn es demnächst ein paar Grad wärmer wird.

Von Winand von Petersdorff

Wenn die große Mehrheit der Klimaforscher recht behält, dann wird es demnächst auf der Erde wärmer. Schuld daran sind die Menschen. Das ist eine gute Nachricht: Denn Wärme beschert Wachstum, wie wir aus dem Gewächshaus wissen. Diese Erfahrung will allerdings zurzeit niemand hören.

Katastrophen ziehen mehr: Die Führer der G-8-Länder konnten sich in Heiligendamm sehr ernst und sehr entschlossen geben beim Kampf gegen die hohen Temperaturen. Aufs Volk können sie dabei zählen. Zu attraktiv ist der Lustschauder, der sich bei jenen einstellt, welche die globale Erwärmung als Apokalypse abhandeln. Dürren, große Fluten, Wirbelstürme und die Ausbreitung tödlicher Krankheiten sind in diesen Debattenbeiträgen die zwangsläufige Folge der Hitze. Und gelegentlich vernimmt man den Unterton, dass sie gerechte Strafe sind für einen Lebensstil in Überfluss und Dekadenz.

Katastrophen-Szenarien sind weit weg von der Wirklichkeit: Sie malen das Gesamtbild der Welt von morgen so düster, dass jedermann sogleich in Depressionen versinken möchte. Die positiven Effekte werden unterdrückt. So erscheint die Menschheit als ein zum Fortschritt ungeeigneter Haufen, der sich träge und depressiv seinem Schicksal ergeben muss.

Das verzerrt die Erfahrungen der menschlichen Geschichte. Die Zivilisation hat die Natur bezähmt. Und die Industrialisierung hat jene Wirtschaftszweige verabschiedet, deren Erträge vom Klima abhängen. Menschen finden allemal auf Klimaherausforderungen Antworten, von denen sie vorher nichts ahnten. Marktwirtschaftliche Systeme sind dafür besonders geeignet, weil sie Leistung und Innovation belohnen.

Nehmen wir den Kühlschrank. Das klingt profaner, als es ist. Lebensmittel verderben bei Hitze. Wer sie trotzdem isst, wird krank. Gegen Verderbnis kämpfen die Menschen seit Jahrhunderten: Sie pökeln, räuchern, wecken ein und kühlen mit Eis. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte Carl von Linde Kühltechnikverfahren, die Lebensmittel frisch und vitaminreich halten. Die Lagerung (fast alle Haushalte haben einen Kühlschrank) und der Handel verderblicher Güter wären heute ohne Kühltechnik nicht denkbar.

Mehr noch: Seit es Klimaanlagen gibt, boomen Städte wie Los Angeles, Las Vegas, Phoenix, Houston oder Miami. Denn Ingenieurkunst hat die Folgen der Hitze gemildert. Golfspielen in Nordamerikas heißester Stadt Yuma, Arizona, mag Ausdruck eines dekadenten Lebensstils sein. Doch es liegt ein Trost darin: Menschen vermögen ein Gelände in unwirtlicher Gegend wirtlich machen.

Die Anpassungsfähigkeit der Menschen ist eine Variable, die in den Katastrophensimulationen der Klimaapokalyptiker weitgehend ignoriert wird. Was hätten sie wohl vor 2000 Jahren zu den Niederlanden gesagt? Hätten sie dem Land eine Chance zugebilligt? Ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Ein großer Teil des Landes wurde dem Meer und Binnengewässern abgerungen. Hollands Ingenieure haben ein ausgeklügeltes Wasserbewirtschaftungssystem mit 240 Kilometer Küstendünen, 420 Kilometer Meerdeichen und ein paar tausend Kilometer Deichen an Flüssen, Kanälen und Seen entwickelt. Die Holländer stellen sich jetzt auf neue Eventualitäten eines steigendes Meeresspiegels ein. In der Stadt Maasbommel errichtet die Firma Dura Vermeer eine Siedlung mit 34 Amphibienhäusern. Die Gebäude stehen auf Stahlstelzen. Kommt das Hochwasser, heben sich die Teleskopstangen auf bis zu 60 Zentimeter Höhe. Sollte das Wasser stärker steigen, geben die Stelzen über einen Schwimmer sowie einen Schnappverschluss das Haus frei. An die Ingenieure von Maasbommel, nicht an die Politiker von Heiligendamm sollte sich wenden, wer Angst hat vor Überschwemmungen.

Die Erkenntnis lautet: Anpassung funktioniert. Die Menschheitsgeschichte gibt Anlass zu Optimismus. "Es ist doch absurd anzunehmen, dass wir zwar in der besten aller Zeiten leben und unfähig sein sollten, uns dem Klimawandel anzupassen", sagt Thomas Gale Moore von der konservativen Denkfabrik Hoover der Stanford-Universität. Der Vordenker der Grünen, Ralf Fücks, argumentiert ähnlich: "Der Kapitalismus ist ein hochgradig lernfähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Krise und jede Opposition in einen Innovationsschub verwandelt hat."

Nüchternheit hilft bei der Lagebeurteilung. Ganz unabhängig von der Geographie und Sonnenstrahlung hängt die Verletzlichkeit eines Landes von der Wetterfühligkeit der Wirtschaftszweige ab. Wer auf Landwirtschaft (in Deutschland steuern Bauern ein Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung bei) angewiesen ist, ist in heißen Regionen in Gefahr. Wer vom Tourismus lebt, muss umdenken, aber nicht verzweifeln. Denn warmes Wetter stimuliert die Reiselust eher, statt sie einzudämmen.

Optimismus speist sich auch aus der Geschichte: Warme Tage waren gute Tage. Zwischen der Warmphase von 900 bis 1300 waren die Leute größer und gesünder (weniger Arthritis) als ihre Vorfahren, sie wurden älter, und die Bevölkerung wuchs schneller. Es entstanden fast alle historischen Bauwerke, die heute von europäischen Städtetouristen besucht werden, wie die Westminster Abbey, Notre-Dame oder der Kölner Dom. Diese Bauwerke sind Ausdruck der Frömmigkeit. Vor allem aber sind sie Ausdruck des Reichtums und der Zuversicht.

Wer sich ständig um das materielle Überleben scheren muss, fängt ein Gebäude wie den Kölner Dom nicht an. Städte wuchsen in jenen wärmeren Tagen, Universitäten und der Handel breiteten sich aus. Nicht nur in England, sondern auch in Norwegen und in Ostpreußen wurde Wein angebaut. Die Menschen waren offenbar gesünder, reicher und optimistischer damals als in den Jahrhunderten davor und unmittelbar danach, als eine Kälteperiode Krankheiten, Kriege und Hungersnöte über Europa brachte.

Zu Jubel besteht trotzdem kein Anlass. Alles ist eine Frage der Dosis. Kühle Gefilde mögen durch Erwärmung angenehmer werden, doch trockene Zonen vertragen zusätzliche Trockenheit schlecht. In dieser Hinsicht scheint die Klimalotterie extrem ungerecht zu sein. Sie bringt dort mehr Dürre, wo schon Dürre herrscht, und verschont oder begünstigt sogar die Industrienationen, die den Klimawandel ausgelöst haben.

Der Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel of Climate Change) kommt zu dem Ergebnis, dass Nord- und Südamerika sowie Nordeuropa feuchter werden, während die Mittelmeerländer und das südliche Afrika und Teile Asiens mit mehr Trockenheit und Wassermangel zu kämpfen haben. Die prophezeite Wärme produziert Verlierer in Ländern, die ohnehin schon unter Dürren leiden. Vor allem für die Menschen armer Länder Afrikas könne sich das Elend vergrößern.

Aber Wandel erzeugt eben auch Gewinner. Selbst in Afrika (siehe unseren Bericht auf der Seite K6) werden Farmer im Nildelta und im Hochland Kenias zu den Profiteuren des Klimas zählen, neben jenen Landwirten, die erfolgreich künstlich bewässern, wie der Yale-Professor für Forstwirtschaft, Robert Mendelsohn, in einer großen Studie in elf afrikanischen Ländern herausgefunden hat. In Russland freut man sich bereits heute: "Vielleicht wird es gut, und wir geben weniger Geld für Pelzmäntel und andere warme Sachen aus", sagte der russische Staatspräsident Wladimir Putin scherzend.

Das halb gefrorene Russland spürt - vielleicht vorschnell - neue Lebensgeister. Riesige vereiste Landflächen werden nutzbar werden für Landwirtschaft, schmuddlig-kalte Regionen werden zu touristischen Zielen. Außerdem schlummern in der Erde Bodenschätze, die am Ende der Kältestarre gehoben werden. Das Nordpolarmeer wird für Fischerei und Schifffahrt zugänglich. Der Seeweg zwischen Nordeuropa und Japan, Nordchina oder Korea ist durch das Nordmeer um 40 Prozent kürzer als durch den Suezkanal. Bisher ist die Nordostpassage nur passierbar, wenn russische Eisbrecher vorausfahren. Würde es wärmer, stünde die Abkürzung bis zu 150 Tage lang offen. Allerdings ist der Übergang schwer: Sibirien muss vorher dafür sorgen, das Städte, Straßen und Atomkraftwerke, die auf Permafrost-Boden heute noch recht stabil stehen, auch nach der Eisschmelze nicht im Morast versinken.

Keine Frage: Der Klimawandel bedeutet Neuverteilung. Reiche werden reicher werden, andere Reiche werden arm. Arme werden reich oder noch ärmer. Alle Varianten hat der Klimawandel in seinem Repertoire. Die ökonomischen Folgen sind ähnlich gravierend wie die Globalisierung und die Alterung in den Industrienationen, schreibt die Investmentbank Lehman Brothers. Und meistens erzeugt Umverteilung Konflikte. Die Hoheitsrechte des Polarmeers sind ungeklärt und laden die Völker zu Streit ein. Eine andere geopolitische Konsequenz des Klimawandels könnte es sein, dass die westlichen Industrienationen, die gegenüber China und Indien zurückzufallen schienen, wieder zu alter Stärke finden. China und Indien werden mit Wassermangel und Fluten zu kämpfen haben. "Wenigstens für ein paar Dekaden wird es auch ein paar Gewinner geben", räumt selbst Rajendra Pachauri ein, Leiter des notorisch pessimistischen IPCC. Und eine Prognose ist ohne Risiko: Menschen werden nicht regungslos zugucken, wie sich ihre Lebensgrundlagen verändern. Sie hoffen auf Gewinn. Das stimuliert den Unternehmergeist.

Wer die Trübsal hinter sich lässt, sieht: Die große Anpassung ist schon heute in vollem Gange. Viele Unternehmen wollen daran verdienen. Die amerikanische börsennotierte Aktiengesellschaft Monsanto arbeitet an einer Baumwollsorte, die Dürren übersteht. Die deutsche KWS AG sucht nach trockenresistenten Nutzpflanzen. Die neuen Sorten machen nicht nur die Firmen, Aktionäre und Bauern reicher, sondern mildern Folgen der Trockenheit.

Die Rückversicherungsgesellschaften finden im Klimawandel nicht nur gute Argumente, die Prämien zu erhöhen. Sie erweisen sich auch als Spezialisten der Risikominimierung. Hannover Rück und Münchener Rück transferieren Katastrophenrisiken mit sogenannten Cat-Bonds ("Katastrophen-Anleihen") in den Kapitalmarkt. Vom Handel mit den Katastrophenrisiken profitieren auch die Versicherten, deren Anlagen sonst ohne Versicherungsschutz blieben. Der französische Wasserkonzern Veolia hat Wasserentsalzungsanlagen in Israel und Australien gebaut und bekommt Anfragen aus der ganzen Welt. Profitieren könnte die Chemieindustrie, deren Produkte für Klimatechnik gebraucht werden (Photovoltaik, Brennstoffzellen, Leuchtdioden) und die Agrochemie (grüne Gentechnik, Pflanzenschutz und neue Düngemittel).

Eine Revolution werden künftig die Bodenpreise erleben. Was ist das Ferienhaus auf den Malediven wert, wenn die Inselgruppe in 50 Jahren im Meer versinkt? Was kostet eine Skihütte in den schneearmen Alpen? Wie teuer wird Wohnraum in Europa, wenn lauter Dürreflüchtlinge auf den Kontinent drängen? Niemand weiß das. Ganz Mutige spekulieren heute schon.