Freitag, 21. Juni 2013

Gute Preisnutzung, Herr Broder!




Sloterdijk bei der Preisverleihung? Falsches Bild?






Da gibt es die Börne-Gesellschaft und den Börne-Preis. Broder bekam letzteren vor ein paar Jahren. Dieses Jahr bekam ihn Sloterdijk. In beiden Fällen keine schlechte Wahl. Als Sloterdijk aber als neuer Preisträger benannt wurde, protestierte Broder und gab seinen Preis zurück. Der Chef der Börnianer konterte, daß Broder seinen Preis schon beim letzten Protest zurückgegeben habe; die Gesellschaft müsse jetzt im Statut festschreiben, daß der Börne-Preis nicht mehr als zweimal zurückgegeben werden könne.
Broder jedenfalls macht guten Gebrauch von seinem Preis, den er gar nicht mehr besitzt. Er protestierte im Hinblick auf Sloterdijks Ausspruch zu 9/11:
"Und wenn mir jemand versichert, dass er nach dem 11. September im Bereich der Philosophie anders denkt als vorher, streiche ich ihn sofort aus der Liste der ernst zu nehmenden Personen. Man kann als Intellektueller nicht behaupten, dass man im Rückblick auf das 20. Jahrhundert durch einen Zwischenfall in amerikanischen Hochhäusern plötzlich aus einem dogmatischen Schlummer erwacht ist. Ich glaube, die Katastrophenlandschaft des 20. Jahrhunderts einigermaßen zu überblicken. Der 11. September gehört da eher zu den schwer wahrnehmbaren Kleinzwischenfällen."
Darüber kann man sich schon ärgern. Das klingt recht hart. 3000 Leichen, pulverisiert von islamistischem Gesindel. Ausbildungslager für solche Schurken gibt es in allen arabischen Ländern, besonders viele aber gab in Afghanistan. Trotzdem hat Sloterdijk mit den “Kleinzwischenfällen”, gemessen an den Strömen von Blut und den Hekatomben von Toten des 20. Jahrhunderts, zu denen Lenin den Startschuß gab, recht. Wir leben in einer sehr komfortablen Zeit. Wirklich angenehm. Der Stalinismus und sein feindlicher Vetter, der Faschismus, sind entscheidend geschwächt und leben nur noch in “Kleinzwischenfällen” am Rande.
Sloterdijk widmete sich in seiner Preisdankesrede erneut diesem Thema. Auf eine Weise, die Broder vermutlich wieder als Verniedlichung des Terrorismus empfinden wird:
“Wie verheerend die Nonsens-Formel vom Krieg gegen den Terror weltweit gewirkt hat und wie krank die Gehirne der unbedachten Benutzer der Formel durch sie geworden sind, kann man an der zutiefst korrupten Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan vom letzten Dienstag erkennen, in welcher er die demokratischen Demonstranten im Gezi-Park von Istanbul als ‘Terroristen’ bezeichnete”.  
Natürlich eignet sich ein Kampbegriff wie ‘Terrorist’ auch dafür,  von Islamisten wie Erdogan mißbraucht zu werden. Es gibt wohl keinen Begriff von einiger Bedeutung, der nicht mißbrauchbar wäre. Die Analyse der politischen Sprache lebt davon. Begriffe die “Freiheit” und “Gerechtigkeit” wurden seit jeher massenhaft mißbraucht, und inzwischen gehört auch “Demokratie” dazu. Sie wird gern im Munde geführt, besonders in Europa, um die individuellen Besitzrechte auszuhöhlen, u.a.  durch sozialistische Maßnahmen wie das EEG. Auch als Legitimationsphrase von Amtsinhabern, besonders der EU, ist es lebhaft im Schwange. Und auch bei Sloterdijk:
Zum einen meinte ich, dass man im Prozess der Demokratie mehr und mehr auch für seine Feinde verantwortlich wird.”
Da wird der Demokratie hinterrücks etwas untergeschoben, was aus der ursprünglich Milieutheorie stammt. Nämlich, daß man doch so nett zu seinen Feinden sein soll, sich ihnen frei- und dienstwillig zu unterwerfen, um sie nicht zu erzürnen und zu “Kleinzwischenfällen” zu treiben wie Großflugzeugattentate auf sehr große Hochhäuser.
Sloterdijk bleibt eben ein talentierter Dampfplauderer aus der Abteilung Philosophische Unterhaltung. Er leistet keinen Beitrag zur scharfsinnigen Analyse. Schade eigentlich.