Freitag, 5. Oktober 2012

Die Kultur machts, nicht die Milch



Ein ganz besonderer Stoff:
Strukturformel des Testosterons




Das Leben des Menschen währet siebzig Jahr, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen, heißt es im Psalm 90. 


Wenn es aber nicht köstlich war, dann beendete Gewalt das Leben früh; Krieg war in der Geschichte ein Dauerzustand, und bis 1945 war er auch normal und legitim, wie Hegel das in seiner Rechtsphilosophie feststellt. Dazu kommen Krankheiten, die schon die Hälfte der Kinder dahinrafften, so daß die durchschnittliche Lebenserwartung viele Jahrtausende lang unter dreißig Jahren lag, wie heute noch in Teilen Afrikas. Erst im 19. Jahrhundert stieg die Lebenserwartung, nur im Okzident allerdings, weil die Kurpfuscher durch die Entwicklung der Naturwissenschaften tatsächlich zu Ärzten wurden. Durch Liebigs Chemie verbesserte sich auch die Ernährungslage stetig, so daß dieser Tage das Statistikamt für Deutschland verlautete, daß neugeborene Jungen durchschnittlich mit 77 Jahren und 9 Monaten, Mädchen mit 82 Jahren und 9 Monaten Lebensalter rechnen könnten. Naturwissenschaften und Technik machen es möglich. Traumhaft. Da kann man viel arbeiten und viele Sachbücher lesen.  
Aber woher kommt die Differenz von ganzen 5 Jahren zwischen den Geschlechtern? Spielen Frauen weniger Rock, weniger Handball und kraxeln weniger auf Idioten-Tour im Himalaya? Zweifellos. Das hilft. Aber in der Breite gibt es folgende Vermutung:
“Einen Hinweis darauf, dass männliche Sexualhormone möglicherweise die Lebenserwartung beeinflussen, kommt aus Korea: Dort hat man die sterblichen Überreste von 385 Eunuchen aus der Zeit der Chosun-Dynastie von 1392 bis 1910 untersucht und gezeigt, dass die 81 kastrierten Männer, deren Lebensspanne ermittelt werden konnte, im Schnitt rund 70 Jahre alt wurden - und damit zwischen 14 und 19 Jahre länger lebten als ihre sexuell aktiven, gesunden Zeitgenossen. …” FAZ 29.9.12  
Sie lebten auch länger als die anderen Palastbewohner, den König eingeschlossen. Testosteron steckt ja auch hinter riskantem Verhalten schlechthin. Aber vermutlich kommen noch ein paar andere Faktoren hinzu, sowohl beim Individuum als auch bei Gruppen. Die größte Zahl von Hundertjährigen soll es in einer ländlichen Region Japans geben. Viel Bewegung und wenig Kalorien sind dort üblich, dies hat man auch bei vielen Mäuseversuchen festgestellt.  
Grundsätzliche physiologische Unterschiede scheint es bei verschiedenen Menschengruppen, früher "Rassen" genannt, nicht zu geben. US-Neger werden älter als haitianische oder afrikanische. Offenbar liegt das an den besseren Lebensbedingungen in den USA. Sie unterscheiden sich aber hinsichtlich der Verträglichkeit bestimmter Medikamente, wie man festgestellt hat. Aber auch Individuen unterscheiden sich da bekanntlich. Was Kant in seinem Aufsatz "Von den verschiedenen Rassen der Menschen", wie auch Montesquieu, noch mit Landesbeschaffenheit und Klima in Verbindung bringt, ist zwar nicht völlig überholt, aber doch durch Darwin und die Entwicklung der Genetik als nur marginal wirksam anzusehen. Interessant ist, wie besonnen beschreibend Kant vorgeht und sich des geringen Wissensstandes des 18. Jahrhunderts bewußt ist:

"Die Naturbeschreibung (Zustand der Natur in der jetzigen Zeit) ist lange nicht hinreichend, von der Mannichfaltigkeit der Ahartungen Grund anzugeben. Man muss, so sehr man auch, und zwar mit Recht, der Frechheit der Meinungen Feind ist, eine Geschichte der Natur wagen, welche eine abgesonderte Wissenschaft ist, die wohl nach und nach von Meinungen zu Einsichten fortrücken könnte." 
(Kant, Rassen, VI, S. 30, Ende d. Textes)
  Die Ergebnisse großer Experimente wie das Israels und seiner Nachbarn und überhaupt die verschiedene Entwicklung der Kontinente standen ihm noch nicht zur Verfügung.
Die israelische Bevölkerung, ursprünglich einer arabischen Gruppe entstammend wie auch die anderen Nachfahren der Region, ging durch die Schule der Diaspora und genießt heute, ganz anders als die semitischen Nachbarn, das im Psalm 90 genannte Alter nicht nur als individuelle Möglichkeit, sondern als ein massenhaftes Durchschnittsalter.