Donnerstag, 11. Juli 2013

Der leibhaftige Unsympath












    „Besonders meine Angst vor dem Empörer, das Neptunische, Auflösende, Geheimnisvolle, mein Bewusstsein verzehrend, mich entseelend; die Angst an der Ostsee in Greifswald, die Unruhe in Helgoland, das Monströse, Schlangengift, Medusenhafte des Moores. Womit beginnt die Welt: Gott schied das Wasser vom festen Land.“ So ein offenbar verwirrter Geist 1922 in sein Tagebuch. (Carl Schmitts Mythen, FAZ 10.7.13)
Ist so etwas überhaupt notierenswert? Doch höchstens für die nächste therapeutische Sitzung. Schmitt ist hier bereits 34 und Professor in Bonn.
<<“Wir unsererseits”, sprach Naphta, “vielleicht nicht weniger revolutionär als Sie, haben daraus von jeher in erster Linie den Vorrang der Kirche vor dem weltlichen Staat gefolgert. Denn wenn die Ungöttlichkeit des Staates ihm nicht an der Stirn geschrieben stünde, würde ein Hinweis eben auf dieses historische Faktum, daß er auf den Willen des Volkes und nicht, wie die Kirche, auf göttliche Stiftung zurückzuführen ist, genügen, um ihn, wenn nicht geradezu als eine Veranstaltung der Bosheit, so doch jedenfalls als ein solche der Notdurft und der sündhaften Unzulänglichkeit zu erweisen.”>> (Th. Mann, Der Zauberberg, 1924; TB S. 423)
Zu Schmitt fiel mir immer Naphta ein, der dunkle, eloquente Gegenspieler des säkularen Settembrini. Der schwarze Schmitt, von Hause aus Sauerländer Katholik, war aber ein Chamäleon, das auch ins Braune spielen konnte. Ob er nicht einfach ein ekelhafter Opportunist war, so geistreich wie gläubig, so skrupellos wie produktiv? Wenn es einen Grund gibt, sich seines Geburtstages zu erinnern, dann scheint mir die Überschrift “Großer Geist oder Vordenker der Nazis” (DLF) nicht die richtige Alternative zu sein. Mir verkörpert Schmitt die Beschränktheit des Verstandes und sein Wirken kann als Warnung vor der Macht der Großorganisation dienen, der er sich angedient hat - dem Staat, dem totalitären Staat.  
Thomas Mann hat im Streit zwischen Naphta und Settembrini die geistigen Kämpfe in der Weimarer Republik reflektiert, während Schmitt sein geistreiches Unwesen trieb. Der historisch Interessierte muß wohl auch den Schmitt noch lesen, zumindest in Teilen. Während Mann mit Naphta und Settembrini in die Grundfragen des Politischen führt und beide als Lehrer Hans Castorps scheitern läßt, kümmert sich Schmitt ehrgeizig um die Mechanik der Staatsmacht. Schade, daß Mann diesem virtuosen und diabolischen Klempnertypen keine eigene Figur gewidmet hat - nicht im ZAUBERBERG und nicht im DOKTOR FAUSTUS, in den er gehört hätte.