Samstag, 1. Dezember 2012

Bei Lüpertz funkelten die Brillanten










“Wissenschaft und Kunst - frei, zweckgerichtet, auftragsgebunden, käuflich?” fragte die NRW-Akademie der Wissenschaften. 

Der Aachener Ingenieur Pischinger gab einen interessanten Überblick über seinen Bereich, über Drittmittel, Auftragsforschung, Grundlagenforschung, wobei er ein wenig in die Geldtonnenideologie verfiel beim internationalen Vergleich, etwa bei der finanziellen Ausstattung der RWTH Aachen und dem amerikanischen MIT. Da hätte doch die ETH Zürich und das israelische Technion dazugehört. Die Bedeutung von Forscherpersönlichkeiten kam gar nicht vor, dabei spielen sie doch eine Hauptrolle - oder kann man sich die Kernforschung ohne Otto Hahn, die Genetik ohne Nüßlein-Volhard, das Internet ohne Bechtolsheim vorstellen?

Das musikalische Individuum kam zumindest als Rechteinhaber bei dem Essener Musikologen Brzoska vor, der über “Zweckgebundenheit, Freiheit und Käuflichkeit von Musik als ‘usus und scientia’ “ zu lange sprach und zu wenig sagte. Wie kommt denn das Individuum zum Komponieren? Das ließ Brzoska unerwähnt, es ist aber eine geistesgeschichtliche Größe. Die Subjektivierung der Religion in der Reformation führt auch erstmalig zur Nennung des Komponisten: Martin Luther, zum Beispiel, der das Kirchenlied zu einer tragenden Gottesdienst-Säule machte, selbst komponierte und das erste Kirchenliederbuch herausbrachte. In Paul Gerhardt fand er einen überragenden Nachfolger. Vor der Reformation erfolgte keine persönliche Kennzeichnung.
Ohne einschlägige Kenntnisse und mit einem dürftigen Bildchen aus dem Neuro-Bereich rief Brzoska aber die Musikerziehung zum großen Intelligenzförderer aus. Das kennt man schon von dem Musikpädagogen Hans-Günther Bastian, dessen selbstgebastelte Studie von den Musikpädagogik-Lobbyisten landauf landab zitiert wird und über Otto Schily auch in die Politik drang.
Als langjähriger Konzertbesucher komme ich nach vielen Gesprächen mit Interpreten und Komponisten zu dem Ergebnis, daß sie meist noch viel fachidiotischer ausgerichtet sind als andere Professionen. Musik ist eine schöne Sache und kann, wenn der Unterricht nicht zu fachborniert erteilt wird, auch für die Klassengemeinschaft fruchtbar werden. Und wer in der Jugend ein Instrument lernt, kann daraus lebenslang Entspannung ziehen. Doch erwirbt man in der Zeit, die man der Musikpraxis widmet, keine anderweitigen Kenntnisse, weswegen man sich mit Musikern, die notwendig viel Zeit mit Musik verbringen, ertragreich nur über Musik unterhalten kann.
Dem entspricht auch meine Erfahrung als Vortragender bei den “Odenthaler Gesprächen”; dort waren Lehrer die stärkste Berufsgruppe, darunter aber keine Musik- und Kunstlehrer. Ansonsten waren alle möglichen Berufe vertreten, vom Chemiker bis zum Kaufmann, aber nie einer der ortsansässigen Musiker, obwohl sie persönlich eingeladen waren. Sie sind halt ein bißchen eng verfaßt außerhalb ihrer Musik, und das wollen wir gern akzeptieren, wenn sie dafür schön Cello spielen.
Wer dagegen Wissen erwirbt, dem öffnen sich, wenn er denn studiert, und nicht nur herunterlernt, immer neue Horizonte auch über Fachgrenzen hinaus. Die Musik wirkt dagegen hermetisch.
Insgesamt gilt das auch für bildende Künstler, die ja auch im vorkognitiven Bereich tätig. Form und Farbe erfreuen emotional.

Ein bißchen Subjektivität brachte Lüpertz in die tranige Veranstaltung, aber er sprach unartikuliert, war schlecht verständlich, und Subjekt heißt bei ihm immer nur eins: Lüpertz. So äußert er im Interview mit der WELT: “Das Problem war, dass ich die Kunst zu wichtig genommen habe. Und damit automatisch auch mich zu wichtig. Und diesen Fehler mache ich heute noch. Ich finde immer, die Welt dreht sich um mich. Und die Vorstellung, dass ich sterbe und die Welt geht weiter, ist für mich unerträglich.” (welt.de/kultur/article3349313/Die-Welt-dreht-sich-nur-um-mich.html)
Kann man ja verstehen, zum Thema trägt das aber wenig bei. Wenn schon nicht der Geist, so blitzten doch seine fünfhundert Brillianten am Handgelenk.  

“Selbstbedienung in der Netzwerkokratie?” (FAZ 28.11.12) So etwas kam in der Veranstaltung nicht zur Sprache. Der französische Rechnungshof veröffentlichte gerade seinen vernichtenden Bericht über das berühmte Pariser “Institut für politische Studien” (Sciences politiques) und dessen Kaperung durch den begabten Selbstdarsteller Richard Descoings. Er richtete sich den ganzen Betrieb zu seinen Gunsten ein und erzielte 2010 ein unwissenschaftlich hohes Gehalt von 537.000 Euro.
Auch Moderator Wolfgang Löwer aus Bonn, den Heike Schmoll in ihrem Wissenschaftsartikel “Der Guttenberg-Effekt” (FAZ 22.11.12) als Wissenschafts-Ombudsmann zitiert hatte, plauderte nicht aus dem Nähkästchen. Die zitierten Worte waren:
“Wundern hört auf, man wundert sich über nichts mehr.”
Aber mitteilen geht doch noch, Herr Löwer!