Samstag, 16. Juni 2012

manch trügrisch Bild



Eichendorff   

Der irre Spielmann 

Aus stiller Kindheit unschuldiger Hut 
Trieb mich der tolle, frevelnde Mut. 
Seit ich da draußen so frei nun bin, 
Find ich nicht wieder nach Hause mich hin. 

Durchs Leben jag ich manch trügrisch Bild, 
Wer ist der Jäger da? wer ist das Wild? 
Es pfeift der Wind mir schneidend durchs Haar, 
Ach Welt, wie bist du so kalt und klar! 

Du frommes Kindlein im stillen Haus, 
Schau nicht so lüstern zum Fenster hinaus! 
Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin? 
Weiß ich doch selber nicht, wo ich bin! 

Von Sünde und Reue zerrissen die Brust, 
Wie rasend in verzweifelter Lust, 
Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß, 
Wird doch kein fröhlicher Kranz daraus! - 

Ich möcht in den tiefsten Wald wohl hinein, 
Recht aus der Brust den Jammer zu schrein, 
Ich möchte reiten ans Ende der Welt, 
Wo der Mond und die Sonne hinunterfällt. 

Wo schwindelnd beginnt die Ewigkeit, 
Wie ein Meer, so erschrecklich still und weit, 
Da sinken all Ström und Segel hinein, 
Da wird es wohl endlich auch ruhig sein. 


Thomas Mann verwendet diese Meeres-Todessymbolik später in seinem “Tod in Venedig”.   



Beruhigend wirken heute Regen und niedrige Temperatur  





“Am liebsten aß er gegrillte Hammelnieren, die seinem Gaumen den schwachduftigen Geruch von Urin vermittelten.” 
So führt Joyce seinen Leopold Bloom ein. ("Ulysses", Joyce)
Arglos schaltet man mittags hr2 ein für die "Weltzeit, Auslandskorrespondenten berichten" und bekommt den "Bloomsday" stattdessen. Diesen blühenden Unsinn. Nach hundert Seiten “Ulysses” habe ich seinerzeit die endlose Schwätzerei aus der Hand gelegt.
Das Einschalterlebnis wiederholte sich auf hr2, WDR3 und sr2 bis Mitternacht, überall Bloomsday. Sehr gut gelesen, übrigens. Man muß auch zugestehen, daß bei aller Belanglosigkeit des Romans darin ein angenehm berührendes Verhältnis zu Dublin aufscheint. Der Mann mochte seine Stadt. Dieses Empfinden kann der Leser bei Döblins “Berlin Alexanderplatz” nicht haben, er wird dort sogar mit völligem Unsinn konfrontiert: “Das Deutsche Reich ist eine Republik, und wers nicht glaubt, kriegt eine ins Genick.” (S. 237) Bei Joyce bleibt es stimmungsvoll, auch wenn über die Unfehlbarkeit des
Papstes schwadroniert wird. Wenn man den “Ulysses” auf Kurzprosaformat eindampfen würde, wäre er möglicherweise so charmant wie die “Penny Lane” der Beatles. Mit 600 Seiten stiehlt er dem Leser die Zeit.


Es gibt Bildungsgegenstände, es gibt Bildungsschutt. Letzteres überwiegt. Die Hälfte der Tage verbringt man damit, sich vom Schutt freizuschaufeln.