Montag, 26. November 2007

"Die Todesautomatik" läuft heute um 20.15 Uhr im ZDF.

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Vom Osten gejagt, im Westen belächelt
Von den Morden an der Grenze: "Die Todesautomatik"

Das Verhör im Keller der Stasi nimmt kein Ende. Für die minderjährigen Opfer, die sich einen Streich erlaubten, aber jetzt zu Staatsfeinden erklärt werden, denen der lebenslängliche Aufenthalt im Zuchthaus bevorsteht, geraten die brutalen Methoden nahe an Folter. Für den Zuschauer wächst die Beklemmung indes, weil die Szene in dem engen, düsteren Raum viereinhalb Minuten lang ohne einen einzigen Schnitt auskommt. Der Regisseur Niki Stein wendet die Spannung ins Unerträgliche. Unerbittlich kreist die Kamera von Arthur W. Ahrweiler um den Schreibtisch herum, an dem die vier Jugendlichen abwechselnd sitzen und stumm ihre Vernichtung erleben, jedes Mal, wenn die Kamera sie erfasst, in neuen Posen - und die Beamten auch mal in anderer Kleidung. Dann erst begreift man: Das sind gar nicht Minuten, die hier vergehen, sondern Tage.


Diese viereinhalb Minuten darf man zu den Höhepunkten des deutschen Fernsehens zählen. Aber es ist nicht allein der ästhetische Anspruch, der "Die Todesautomatik" über das Gros jener vielen Fernsehspiele hebt, die derzeit in kurzen Abständen die Geschichte der DDR aufarbeiten. Genaugenommen ist es nicht einmal ein DDR-Film. Denn das Drehbuch von Wieland Bauder und Niki Stein, das die wahre Geschichte des Michael Gartenschläger fiktionalisiert, erzählt mehr über den Westen der siebziger Jahre als über

den Osten - genauer über jene westdeutsche Befindlichkeit, als man mit der DDR auf Schmusekurs ging.

Da beruhigte die Staatsräson ihr Gewissen mit freigekauften DDR-Häftlingen.

Da wollten Studenten sich "die gute Sache" nicht von verbitterten Zonis verleiden lassen, die mit ihrer Flucht "den Sozialismus verraten haben". Und da spottet der Chef eines Hamburger Nachrichtenmagazins über den auf Rache sinnenden Manfred Brettschneider (dem historischen Michael Gartenschläger nachempfunden): "Das nennt man wohl Zonenkoller." Nicht zuletzt handelt "Die Todesautomatik" aber

von der Frage, wann - oder ob überhaupt - Vergessen und Verzeihen möglich sind.

Widerstand oder Ergebung: Diese beiden möglichen Reaktionen auf ein zu Unrecht erduldetes Schicksal spielt der Film anhand seiner Figuren Lutz und Manfred ein ums andere Mal durch. Der Automechaniker Manfred (Misel Matisevic zeigt ihn als aufbrausenden Michael Kohlhaas) und Lutz (Stephan Kampwirth), die 1961 in einem Schauprozess in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren, wurden in den siebziger Jahren durch die Bundesrepublik freigekauft. Während Lutz sich in Hamburg ein neues Leben aufbauen will, kämpft Manfred besessen gegen das Land hinter dem Eisernen Vorhang, das ihn um seine Jugend betrog.

Von nicht wenigen im Westen wird er dafür belächelt. Einigen gilt er auch

als Störenfried, selbst die Freundin

(Loretta Pflaum) erträgt Manfreds Unruhe kaum. Ob mit präparierten Fluchtautos auf der Transitstrecke durch die DDR, ob nachts mit dem Fotoapparat an den Grenzzäunen oder als Redner vor hanseatischen Damenzirkeln: Immer ist er unterwegs in seiner Mission. Als er jedoch selbst Hilfe braucht, kneifen die vermögenden Hamburger Damen.

Doch weiß er, der in seiner "Freien Autowerkstatt" für jedes Malheur stets das richtige Werkzeug zur Hand hat, sich auch selbst zu helfen. Zusammen mit einem Freund gelingt es ihm sogar, die von der DDR geleugneten Selbstschussanlagen entlang der Grenze nachzuweisen. Damit glaubt sich der junge Mann am Ziel. Doch die DDR ist gerade UN-Mitglied geworden, man übt sich in "Entspannungspolitik". Da scheuen sich selbst die westlichen Medien, die Minen und Kanonen, die Manfred nachts abgebaut hat und nun der Welt präsentiert, allzu hoch zu hängen. Derweil setzt die DDR ein Sonderkommando auf Manfred an. Wenig später wird er erschossen.

Es sollte noch acht Jahre dauern, bis die DDR die Selbstschussanlagen an der Grenze abmontierte. Als im vergangenen Jahr in Strausberg bei Berlin, der Heimatstadt des 1976 getöteten Michael Gartenschläger, der Antrag gestellt wurde, eine Straße nach ihm zu benennen, lehnte die Stadtverordnetenversammlung dies ab; die Mehrheit haben hier SPD und Linkspartei. Sandra Kegel

"Die Todesautomatik" läuft heute um 20.15 Uhr im ZDF.


Text: F.A.Z., 26.11.2007, Nr. 275 / Seite 38