Nur noch ein Weltkrieg kann uns retten
19. Juni 1999 Wer Heidegger in Schutz nehmen will, der versetzt ihn in eine andere Welt, eine Sphäre des Denkens, in dem ihm weitreichende Einsichten zuteil geworden seien, die seine politischen Irrtümer vergessen machten. Manche wehren sich gegen diese Schutzbehauptung und beharren auf der inneren Verbindung zwischen Philosophie und Politik. Der erbittertste Verfechter dieser Verbindung war, zeitweise, der Philosoph Martin Heidegger.
Der Zweite Weltkrieg war gerade ausgebrochen, und in einem war Heidegger sich sicher: "Denken kommt der, Wirklichkeit der Begebnisse des Zeitalters um ein Unendliches näher (und zwar nicht als tatenlose Begaffung) denn jede kleinbürgerliche Art des ,Einsatzes'." Gelegenheit, die Freund- und Feindberührungen Heideggers kennzulernen, bietet Band 69 der Gesamtausgabe, in dem Texte zur "Geschichte des Seyns" aus den Jahren 1938 bis 1940 erstmals zugänglich gemacht werden. Ohne Ambition auf ein Publikum übt hier ein Philosoph, der mit Heraklit "den gemeinsamen Weg verläßt und im Gebirge lebt", das Nachdenken über den noch frischen Krieg. Die Behauptung des Herausgebers, es handle sich bei diesen Texten um regelrechte "Abhandlungen", ist eine irreführende Ehrfurchtsgeste. Immerhin gehen diese mal stichwortartigen, mal ausformulierten Texte inhaltlich über das hinaus, was bislang von Heidegger bekannt war. Der Respekt vor dem großen Philosophen legt es nahe, seine - gelinde gesagt: originellen - Überlegungen zum Kriegsbeginn zunächst ohne Einreden wiederzugeben.
Heidegger verpönt die Flucht vor der Gegenwart, er verhöhnt die "gewohnte Selbstsicherung" im "Bisherigen" und die "betörende Hoffnung" auf "Wiederkehr . . . bürgerlicher Zustände". Sie hält er für das "hartnäckigste Hemmnis" gegen die Einsicht in die unwiderstehliche Neigung der Zeit: "Die Geschichte des Seyns wirft die Würfel." Und wie fallen sie? Sie weisen auf Krieg. Die Moderne ist nach Heidegger beherrscht von einer "Geschichte der Subjektivität", die im Streben nach "Macht" und in der Entfesselung der "Machenschaften" gipfelt. Den Zweiten Weltkrieg deutet er als "Wesensfolge" jenes "Machtanspruchs" und insofern als Erscheinung ganz neuer Art. Andere mögen in diesem Krieg eine Entscheidungsschlacht zwischen Demokratie und Diktatur, Freiheit und Rassismus sehen. Heidegger hält diese Unterschiede für kosmetisch. "Rasserettung und Schutz der Freiheit sind", so erklärt er brüsk, "auf den wechselweisen Gegenseiten die Vorwände, hinter denen die reine Macht sich austobt". "Zielsetzungen" wie die "Sicherung der ,Moralität'" einerseits, die "Rettung der ,völkischen Substanz'" andererseits zeichnen sich nach Heidegger durch "metaphysische . . . Selbigkeit" aus; er sieht in ihnen nur verschiedene Formen der Politik als "planmäßigen Lebensbetrieb".
Moralität und Freiheit werden weggewischt von dem Tisch, auf dem die Würfel zur Entscheidung über die "Geschichte des Seyns" fallen; wer sie festhielte, machte sich nach Heidegger einer Verkennung der Lage schuldig, er würde "sich selbst aus der Geschichte . . . ausschließen". Wer nicht die Schuld des Spielverderbers auf sich laden will, muß sich demnach allein an die Herausforderung halten, die in der Moderne als "Durchmachtung des Seienden" liegt. In ihre reinste Form kommt sie nach Heidegger im "letzten Abschnitt der Vollendung der Neuzeit", in der "Vollendung des abendländisch metaphysischen Geisteswesens": dem "Kommunismus" in Gestalt von Stalins Sowjetunion. Ausdrücklich werden unter anderem der Einparteienstaat, die Sowjets und die Kollektivierung angeführt, die eine "vergnügte und gesunde, industrialisierte und technisierte kulturmachende Menschenmasse" formen sollen.
Dieser "Kommunismus" ist nach Heidegger aber keine sowjetische Erfindung. Das Original entdeckt er im neuzeitlichen "englischen Staat", und damit wird der Würfel der Seinsgeschichte mit großem Schwung zurückgeworfen vom Osten in den Westen. Der "englische Staat" des klassischen Liberalismus ist nach Heidegger dem "Wesen" nach "dasselbe wie der Staat der vereinigten Sowjetrepubliken" - mit nur einem "Unterschied": In England läßt der "Schein der Moralität und Völkererziehung alle Gewaltentfaltung harmlos" wirken, während bei Stalin "das neuzeitliche ,Bewußtsein' rücksichtsloser, wenngleich nicht ohne Berufung auf Völkerbeglückung, sich selbst im eigenen Machtwesen bloßstellt". Stalin wäre demnach ehrlicher als seine englischen Vorgänger.
Das System, das Heidegger "englischen ,Bolschewismus'" nennt und das heute noch in der westlichen Welt herrscht, muß aus seiner Sicht der "Vernichtung" anheimfallen. Würden die "Zerstörungen . . . ausbleiben oder abgebogen werden", bliebe uns der "Untergang vorenthalten", und jene Weltordnung wäre auf unabsehbare Zeit stabilisiert: ein "völliges Ende". "Die Geschichte des Seyns muß" jedoch "durch die Verwüstung hindurch". Analog zu seiner Devise aus dem Jahr 1966 "Nur noch ein Gott kann uns retten" könnte seine Empfehlung Ende der dreißiger Jahre lauten: Nur noch ein Weltkrieg kann uns retten. Im Krieg sieht Heidegger das "Zwischenspiel eines wesentlicheren Vorgangs", ohne freilich das Spielerische an ihm zu erläutern; er ist aus seiner Sicht das Vorspiel für einen "anderen Anfang", über den er dann in anderen Texten ausführlicher nachsinnt. Aus dem vorliegenden Band erfährt man, daß jener "Anfang" für den Aufzug eines "Ereignisses" voll "Milde", "Heiterkeit" und "Freude" stehen, also geradezu mütterliche Wärme ausstrahlen soll.
Mit solchen Stimmungen ist es nach Heidegger aber nicht getan; es komme zudem darauf an daß die "Machenschaft", deren Hauptsitz von ihm nach England verlegt worden ist, nicht den Boden für den "anderen Anfang" zerstöre: "die einheitliche Zerreibung des Deutschtums und Russentums" muß verhindert werden. Unterhalb des Stalinismus entdeckt er nämlich ein anderes Rußland, das zusammen mit Deutschland eine Wende einleitet; sie macht er fest an dem Begriffspaar "Erde" und "Welt": "Die Geschichte der Erde der Zukunft ist aufbehalten im noch nicht zu sich befreiten Wesen des Russentums. Die Geschichte der Welt ist aufgetragen der Besinnung der Deutschen." Mit dieser Rollenverteilung macht Heidegger sozusagen eine Flugrolle vorwärts in die "Geschichte des Seyns", und damit kommt seine Kür auf dem Boden der Geschichte zum Abschluß.
Welche Wertungsnoten würde man nun dem Philosophen erteilen, wenn man gezwungen wäre, als Punktrichter über Heideggers Dehnübung zu befinden? Es macht wohl keinen Sinn, um den philosophischen Brei herumzureden: Was Heidegger sich hier ausgedacht hat, ist leider vom "anderen Anfang" bis zum "völligen Ende" ein intellektuelles Desaster. Man kann darauf verzichten, sich moralisch zu entrüsten, wenn er Freiheit und Rassismus in einen Topf wirft; schon als schlichte Beschreibungen sind Heideggers Gedankengebäude so schief, daß sie beim kleinsten Lufthauch - er muß nicht einmal vom Mantel der Geschichte stammen - zusammenstürzen. Die Verhehlung der Politik, die Verteidigung der Vernichtung, die Verzerrung der Moderne zum bloßen Machtspiel, das Spekulieren auf seinsgeschichtliche Würfelwürfe und rettende Völker, die Schlichtheit, mit der Disparates zum "Selben" erklärt wird - aus alldem ergibt sich nicht das Gesicht dieses Zeitalters, sondern dessen Fratze im Holzschnitt.
Eine Gesamtausgabe kann Vergangenes zum Leben erwecken (was im Falle Heideggers für die Veröffentlichung der eindrucksvollen Vorlesungen aus der frühen Freiburger Zeit gilt); sie kann aber auch eine Leichensammlung sein. Letzteres gilt für den vorliegenden Band im doppelten Sinn. Er handelt von den Leichen dieses Jahrhunderts, und er zeigt, wie wenig lebendig das ist, was Heidegger zu jener Zeit über sie zu sagen hatte.
DIETER THOMÄ, Rezension: Sachbuch
Martin Heidegger: "Die Geschichte des Seyns". 1. Die Geschichte des Seyns (1938/40). 2. KOINON. Aus der Geschichte des Seyns (1939/40). Gesamtausgabe. III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen, Band 69. Herausgegeben von Peter Trawny. Klostermann Verlag, Frankfurt/M 1998. 229 S., geb., 68,- DM, kt., 58,- DM.
Heidegger, Martin, Die Geschichte des Seyns
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.06.1999, Nr. 139 / Seite 47
Mittwoch, 19. November 2008
RELIGIONSPSYCHOLOGIE, HEIDEGGER
Massentötung in Jonestown (Guyana)
- RELIGIONSPSYCHOLOGIE: " Massenmord in Jonestown . Die Massentötung der Jim-Jones-Sekte in Guyana.
18. November 1978 . Gehirnwäsche, Drogenexzesse, Orgien, Missbrauch - vehemente Vorwürfe werden Mitte der 1970er Jahre gegen den US-amerikanischen „Peoples Temple“ erhoben. Eine Religionsgemeinschaft, deren Prediger Jim Jones zuvor noch zu den hundert herausragenden Geistlichen der USA gezählt wurde.
1955 hatte er die sozialistisch-christliche Sekte gegründet, die sich radikal von der US-Kultur abkehrte und die sozialen Unterschiede von Rasse, Geschlecht, Alter und Besitz aufheben wollte. Ein alternatives Lebensmodell, das auch prominente Politiker und Bürgerrechtler interessierte, gleichzeitig aber das US-System in Frage stellte.
Als 1977 die Vorwürfe gegen den „Peoples Temple“ immer lauter werden, flieht Jones mit seinen Anhängern ins mittelamerikanische Guyana. Ein Heiligtum und „sozialistisches Paradies“, Jonestown, soll dort entstehen, aus dem allerdings die Ausreise nicht erlaubt ist und das Anhänger und Kritiker nur tot verlassen werden."
Autor/in: Veronika Bock / Ulrich Biermann / Zz 18.11.08
- HEIDEGGER, noch ein Wörtchen zu ihm: Heid. war ein großer Künstler - es gelang ihm, aufgebrezelte philosophische Kathedertradition und windigen Zeitgeist unter einen braunen Rektorshut zu bringen, ziemlich unsinnig und ekelhaft, auch wenn man dem unwürdigen, aggressiven und totalitären Universitätsbeamten H. zugute halten muß, daß die Geschichte von vorn ganz anders aussieht als von hinten. Er blieb auch nach 45 eine Nonvaleur und ein Beispiel dafür, daß die Beschäftigung mit Kathederphilosophie eine valide Option für die groteske Verfehlung der Gegenwartserkenntnis darstellen kann. Kaum läßt sich der üble Einfluß H.s auf die junge Studentenschaft seinerzeit überschätzen. Er hätte natürlich auf die Nürnberger Anklagebank gehört als der genuine Himmler in der Philosophie. Auch das Verhalten gegenüber seinem Lehrer Husserl, der ihm den akademischen Weg ebnete, war persönlich abstoßend. Einen kurzen Überblick über sein polititisch-totalitäres Geseire gewährt Dieter Thomäs Artikel in der FAZ v. 19.6.99 "Nur noch ein Weltkrieg kann uns retten". Man kann vor dem Mann nur ausspucken. Komm. Luh.-Liste
- RELIGIONSPSYCHOLOGIE: " Massenmord in Jonestown . Die Massentötung der Jim-Jones-Sekte in Guyana.
18. November 1978 . Gehirnwäsche, Drogenexzesse, Orgien, Missbrauch - vehemente Vorwürfe werden Mitte der 1970er Jahre gegen den US-amerikanischen „Peoples Temple“ erhoben. Eine Religionsgemeinschaft, deren Prediger Jim Jones zuvor noch zu den hundert herausragenden Geistlichen der USA gezählt wurde.
1955 hatte er die sozialistisch-christliche Sekte gegründet, die sich radikal von der US-Kultur abkehrte und die sozialen Unterschiede von Rasse, Geschlecht, Alter und Besitz aufheben wollte. Ein alternatives Lebensmodell, das auch prominente Politiker und Bürgerrechtler interessierte, gleichzeitig aber das US-System in Frage stellte.
Als 1977 die Vorwürfe gegen den „Peoples Temple“ immer lauter werden, flieht Jones mit seinen Anhängern ins mittelamerikanische Guyana. Ein Heiligtum und „sozialistisches Paradies“, Jonestown, soll dort entstehen, aus dem allerdings die Ausreise nicht erlaubt ist und das Anhänger und Kritiker nur tot verlassen werden."
Autor/in: Veronika Bock / Ulrich Biermann / Zz 18.11.08
- HEIDEGGER, noch ein Wörtchen zu ihm: Heid. war ein großer Künstler - es gelang ihm, aufgebrezelte philosophische Kathedertradition und windigen Zeitgeist unter einen braunen Rektorshut zu bringen, ziemlich unsinnig und ekelhaft, auch wenn man dem unwürdigen, aggressiven und totalitären Universitätsbeamten H. zugute halten muß, daß die Geschichte von vorn ganz anders aussieht als von hinten. Er blieb auch nach 45 eine Nonvaleur und ein Beispiel dafür, daß die Beschäftigung mit Kathederphilosophie eine valide Option für die groteske Verfehlung der Gegenwartserkenntnis darstellen kann. Kaum läßt sich der üble Einfluß H.s auf die junge Studentenschaft seinerzeit überschätzen. Er hätte natürlich auf die Nürnberger Anklagebank gehört als der genuine Himmler in der Philosophie. Auch das Verhalten gegenüber seinem Lehrer Husserl, der ihm den akademischen Weg ebnete, war persönlich abstoßend. Einen kurzen Überblick über sein polititisch-totalitäres Geseire gewährt Dieter Thomäs Artikel in der FAZ v. 19.6.99 "Nur noch ein Weltkrieg kann uns retten". Man kann vor dem Mann nur ausspucken. Komm. Luh.-Liste
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