Montag, 4. April 2011

Soziologen und so






Göttliche Vergeltung

Bild: Klaus Butz / amazon




Wolf Lepenies ist ein freundlicher Vertreter der Soziologenzunft. Vor ein paar Jahren, als es beim WDR3 noch ausführliche Rezensionen gab, besprach Lepenies das lange unveröffentlichte Manuskript "Nemesis Divina" Carls von Linnés aus dessen Nachlaß. Reißerisch verglich er Linné mit Darwin, den botanischen und zoologischen Ordnungsapostel mit dem englischen Begründer der Evolutionsbiologie, um dann ein unbedeutendes Werklein aus frömmelnd protestantischer Perspektive zu präsentieren, die "Göttliche Vergeltung", in der Linné wohl weitgehend erfundene Fallbeispiele vorstellt, in denen allerhand Übeltäter eine "gerechte Strafe" erfahren.

Mir scheint seit langem, daß auf diese Weise, die Aufblasmethode, ein großer Teil der Soziologen verfährt, und nicht nur Soziologen, sondern auch Germanisten, Anglisten, Philosophen und Literaturwissenschaftler.
Letztere Fächer studierte Frank Schirrmacher, heute FAZ-Feuilletonchef. Noch frisch in Erinnerung ist seine Humangenom-Trompeterei, bei der er die banale Basenabfolge im Genom, abgedruckt auf zwei Seiten, zum anthropologischen Epochenereignis GLÄSERNER MENSCH stilisierte.

Sie schwafeln halt gerne und tun sich wichtig, mag man diese pompöse Aufwertung des nicht sehr Bedeutenden zu Großbedeutendem im Dienste eigenen Nutzens kommentieren und die Schultern zucken.

Aber so leicht sollte man es nicht nehmen. Dieser Tage wurde der Soziologe und langjährige Gaddafi-Freund Jean Ziegler aufgefordert, seinen Sitz im UN-Menschenrechtsrat aufzugeben, weil er sich zu sehr für den großen Menschenrechtler Gaddafi und dessen großen Menschenrechtspreis eingesetzt habe. (Vgl. "Gesinnungsfest", FAZ 4.4.11).

Sie schwätzen gerne, die Soziologen, und hören dabei auch gerne zu wie Anthony Giddens, seinerzeit renommierter Rektor der London School of Economics (LSE), als Gaddafi-Sohn und LSE-Absolvent Saif al Islam (Schwert d. Islam) in einer Rede Giddens und seinen anderen sozialwissenschaftlichen Lehrern erläuterte, wie demokratisch das Gaddafi-Libyen sei. Dafür bedankte sich der Politikwissenschaftler David Held und gestand seinem Schüler "tiefe liberale Werte" zu.
(Vgl. Der Gaddafi-Clan und die LSE, FAZ 20.3.11)

Soziologie studiert hat auch der FAZ-Feuilleton-Redakteur Jürgen Kaube, der meist bei seinem sozialwissenschaftlichen Leisten bleibt und dort ganz ernsthaft verfährt, der aber auch nicht immer dem allgemeinsoziologischen Mandat zur Großschwafelei in empörter und edelverpflichteter Absicht entsagen kann, wenn es um etwas geht, wovon er gar nichts versteht. Wie sein Chef Schirrmacher zog er gegen die Nukleartechniker generell und besonders in Fukushima blank und vernichtete sie virtuell und feuilletonistisch.

Sie haben es schwer, die Sozialwissenschaftler, die meisten von ihnen können ihrem Rede- und Sprechdrang selten etwas Kluges abgewinnen. Zudem sind ihre Wissenschaften, weich, so weich und erlauben selten eine Überprüfung. Lobten sie nicht neulich noch die sozialen Fortschritte in der Honecker-Diktatur?

Es ist besonderes Kreuz mit ihnen, wenn sie sich empörte Urteile anmaßen in Bereichen wie der Nukleartechnik, bei denen ihnen offenbar alle Urteilfundamente fehlen.

Auch Papiertiger sollten sich mäßigen. Würden ihnen Athena da nicht zulächeln?